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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Eile gewaschen und eben deshalb mit Farbresten, die vom Kopierstift herrührten, an den Fingern und in den Mundwinkeln, in seinen zerschlissenen und wie Pergament brüchigen Anzug gekleidet, in einem Sarg aus dünnen und rohen, ungehobelten Brettern gebettet, wurde Hartin Fringhian im Frühjahr 1959 beerdigt. Pfarrer Varjabedian näselte und murmelte das Andachtslied
I veri Jerusalem
vor sich hin. Die paar um den Sarg versammelten Personen verhielten sich eher so, als gälte es eine Sache zu erledigen, niemand, der eine Träne vergossen oder geseufzt hätte. Allein Mariam, die Pfarrerswitwe, weinte, aber nicht wegen des Alten oder der Erbschaft, der sie sich nicht erfreuen konnte, sondern weil sie es seit dem Tod ihres Mannes bei allen Beerdigungen so hielt.

SIEBEN
    V ergreift euch nicht an ihren Frauen, hatte Armen Garo gesagt. Auch nicht an den Kindern.
    Sie waren einzeln, einer nach dem anderen, gekommen und hatten sich am Sitz der Zeitung
Djagadamard
in Konstantinopel versammelt, alle Mitglieder der Spezialmission. Man hatte sie mit Bedacht ausgewählt. Letztlich waren nur diejenigen in die Gruppe aufgenommen worden, die schon einmal aus eigenem Antrieb oder in organisierter Form an verdeckten Aktionen teilgenommen hatten. Ich kann nur solchen vertrauen, die bereits getötet haben, hatte Armen Garo beschlossen. Sie erhielten die Fotos derer, die sie in ihren Verstecken aufstöbern sollten. Und die Verstecke konnten sich überall befinden, in Berlin und Rom ebenso wie in den Steppen von Zentralasien. Talaat Pascha, der Innenminister, breitschultrig und mit einem dicken, gedrungenen Hals, hatte einen kräftigen Körper, und sein Kopf mit dem eckigen Kinn und den Kiefern, die jenen eines reißenden Tieres ähnelten, wirkte wie die Verlängerung der stattlichen Brust. Und die Hände im unteren Teil des Fotos, doppelt so groß wie die eines gewöhnlichen Menschen, verrieten seine Aggressivität. An seiner Seite, fragil und mit feinen Zügen, seine Frau in einem weißen Kleid und mit einem aus Spitzen nach europäischer Mode gearbeiteten Hut, sehr anders als der Fes des Paschas. Dann Enver, kleinwüchsig, allein durch die Absätze seiner Stiefel etwas emporgehoben. Ein hoffärtiger Blick und dünne Finger, die an den Schnurrbartspitzen liegen; er ist stolz auf die Litzen eines militärischen Kommandanten, die er im Überfluss auf den Schultern und auf der schmalen Brust trägt. Sie sollten seine mehr als bescheidene Herkunft als Sohn einer Mutter verschleiern, die sich zu seiner Erziehung eines der im gesamten Imperium am meisten verachteten Berufe hatte hingeben müssen, dem einer Leichenwäscherin. Auf einem der Fotos umfing sein dünner, besitzergreifender und zugleich schüchterner Arm die zarte Taille seiner Frau Nadjeh, die eine Prinzessin aus dem herrschaftlichen Harem, somit eine Tochter des Sultans war. Und auf einem anderen Foto versuchte Enver, der Sohn der Leichenwäscherin und Schwiegersohn des Sultans, draufgängerisch zu wirken, erstarrt zwischen den Porträts seiner Idole Napoleon und Friedrich der Große. Djemal Pascha war in diesem kriegerischen Triumvirat eine Art Lepidus. Hätte er nicht die Epauletten eines Marineministers getragen, so wäre er mit seinem durchschnittlichen Gesicht wahrscheinlich ganz unauffällig geblieben, wiewohl er sich alle Mühe gab, mit der Brutalität von Talaat und dem würdeheischenden Stolz Envers Schritt zu halten. Dann Dr. Nazîm und Behaeddin Șakir, die Ideologen der Vereinigungs- und Fortschrittspartei, die auf die Idee gekommen waren, die Kriminellen freizulassen und in Einheiten der Armee einzugliedern. Diese hatten dann die Armenierkonvois bewacht und an den Wegscheiden niedergemetzelt. Wir wissen nicht, wie hübsch ihre Frauen waren, sie waren rundlich und hatten schwarzes Haar, aber ihre Züge sind nicht recht zu erkennen, denn die einzigen Fotografien, die uns aus ihren jüngeren Jahren vorliegen, zeigen sie mit verschleiertem Gesicht, wie sie an den Särgen ihrer Männer weinen, nachdem die richtende Gruppe ihre Mission erfüllt hatte. Und die anderen, Djemal Azmi, der Präfekt von Trapezunt, Bahbud Khan Djivanșir ... Armen Garo hielt die Fotografien von Talaat und Enver zusammen mit ihren Frauen hoch. Und schaute der Reihe nach alle an: Solomon Tehlirian, Aram Yerkanian, Arșavir Șiraghian, Hraci Papazian, Misak Torlakian.
    Ihre Frauen tötet ihr nicht, wiederholte er. Und auch nicht ihre Kinder.
    Für uns spielt es keine Rolle, wann diese Begegnung

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