Buch des Flüsterns
durch Chivu Stoica. Sahag Șeitanian riss die Augen weit auf: Die Türkische Staatsbank? Das heißt ... die Osmanische Bank,
Baron
Zohrab? Die Gleiche, die Armen Garo zur Zeit des Sultans Abdul Hamid hatte in die Luft sprengen wollen? Der Direktor war mein Schulkamerad; wir sind Freunde geblieben. Sie wussten das. Jetzt, da du ihnen geholfen hast, wird es auch dir besser gehen. Sie müssten sich erkenntlich zeigen. Levon Zohrab lächelte traurig: Ich habe noch drei Tage zu leben, Sahag. Genau die Frist, die sie von der Bank erbeten haben. Derjenige, der dir dankbar sein müsste, wird dein schlimmster Feind. Erst recht, wenn es kein Mensch ist, sondern ein Staat, wie in diesem Fall. Überleg einmal: Das kommunistische Regime mit seiner Partei, mit der ganzen Securitate, den Gefängnissen und den Zehntausenden, die sich überschlagen, um in die Partei einzutreten, all dies sollte machtloser sein als das Wort eines einzigen Menschen, der dazu noch zur Kohorte der Verfolgten gehört? Ich bin ihnen eine Last. Wenn der Kommandant des Konvois sein Geld bekommen hat und das Erz abgeladen ist, werden sie mich abholen kommen und sich vielleicht sogar die Mühe ersparen, mich zu verhaften.
Er stand auf und ging in eine Zimmerecke, an der eine Tür in eine Art Kammer führte. Ich habe ein Versprechen gegeben, das ich einhalten muss, sagte er. Heb bitte dort in der Ecke die Dielen hoch. Vorsichtig, sie könnten beschädigt werden ... Vorsichtig erkundete Sahag das Versteck, hob Noradunghians eingerollte Karten hoch und drückte sie wie ein Baby vor dem Taufbecken an die Brust. Nimm sie, sagte Levon Zohrab, sie gehören dir, du liebst sie am meisten. Dann, als er schon in der Tür stand, hielt er Sahag noch einmal zurück. Meinst du wirklich, es war ein Liebesbeweis, dass ich meinen Vater habe sterben lassen? Nein, so nicht. Dass du ihn liebtest, erweist sich daran, dass du nicht mit ihm und vor seinen Augen gestorben bist. Die Ordnung der Welt sieht vor, dass wir unsere Eltern begraben und von unseren Kindern begraben werden. Was auf uns beide nicht zutrifft, lächelte der alte Zohrab traurig, weder in die eine noch in die andere Richtung, nicht wahr, Sahag? Aber nicht Sahag antwortete ihm, sondern ein höhnisches, zähnefletschendes Stöhnen aus seinen Eingeweiden, Yusuf äußerte sich einem anderen Yusuf gegenüber, der aus dem eingefallenen Brustkorb des Alten antwortete und wild auf den östlichen Gefilden der Karten zwischen nicht beerdigten Alten und ungeborenen Kindern herumtanzte.
Zuerst starb, wie angekündigt und nunmehr seines Versprechens ledig, der alte Zohrab. Er hatte die mörderische Anerkennung seitens des kommunistischen Regimes nicht mehr abgewartet. Der Tod hatte diese Leute in ihrer Jugend verschont, sogar gegen ihren eigenen Willen. Und weil er ihnen damals ausgewichen war, und sie deshalb, ihres eigenen Todes nicht teilhaftig, sich genötigt sahen, in ihren Erinnerungen und Albträumen die Tode der anderen stets aufs Neue zu durchleben, hatte der Tod beschlossen, da er beim ersten Mal herbeigerufen und nicht gekommen war, beim zweiten Mal nur zu erscheinen, wenn er gerufen würde, dann aber sogleich. Deshalb machte der Tod vielen Armeniern meiner Kindheit ein Geschenk: Er diente ihnen im Alter ergeben, flackerte im Kerzenlicht, wirbelte im Kaffeedampf, krümmte sich in die Falten der Leintücher, tröpfelte an Fenstern herab und zwängte sich in Türritzen, und wenn sie ihn riefen, kam er, streckte sie in ihren Betten aus, bedeckte sie mit ihrem Schatten und verlieh ihnen im Sterben ein ruhiges Antlitz. Levon Zohrab starb am Tisch sitzend, den Kopf auf die linke Hand gestützt und den Telefonhörer in der anderen Hand. Jenes Telefon war schließlich der Beweis, dass er anständig gelebt hatte. Wir wissen nicht, wen er hatte anrufen oder ob er jemandem hatte antworten wollen, es gab keinen Hinweis darauf, dass ihn noch jemand besucht haben könnte, außer dem Tod, gewiss, der als Letzter an seiner Seite geblieben war, ihn vom Kreuz abgenommen und gnädig umarmt hatte.
Als Nächster ging Micael Noradunghian. In seiner Nähe zögerte der Tod. Er lag lange danieder, bevor der Tod ihn nach einem rätselhaften Leben kennenlernen konnte. Der Tod mag keine Unbekannten; erst nachdem er seinem Flüstern und Brabbeln gelauscht, seine Albträume beobachtet, seine Blätter durchstöbert und seine Erinnerungen anhand der Falten seines Kopfkissens nachgestellt hatte, war der Tod mit ihm vertraut geworden, fuhr in ihn
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