Buch des Flüsterns
Er nahm das Holzpferdchen aus der Tasche und wischte mit dem Ärmel seines Sakkos darüber. Vergeblich, die Mähne wollte nicht glänzen, das Holz war alt und die Farbe abgeblättert. Das ist alles, was mir von Calust, meinem kleineren Bruder, geblieben ist. Ich fand es in seinem Zimmer zwischen den Trümmern, als ich in unser Dorf zurückgekehrt bin. Ich hatte es ihm geschenkt, ich hatte es mit dem Bajonett aus Nussholz geschnitzt. Ich hatte nicht gewusst, warum ich von Bahbud Khan träume, der mich auf einem blutenden Pferd verfolgt, aber das Pferd zerschmettert mich nicht unter seinen Hufen. Damals dachte ich, es sei deshalb so, weil niemand in seinem eigenen Traum stirbt. Ich dachte, wenn ich den Aserbaidschaner umbringe, wird der Traum verschwinden. Aber er verschwand nicht ganz, das Pferd ist geblieben, und ich träume weiterhin von ihm. In meinen Albträumen reiten andere auf ihm und quälen es. Jeder, der von dort entkommen ist, hat seine eigenen Albträume, sagte Großvater. Wir werden uns von ihnen nur befreien können, indem wir sterben, nicht dadurch, dass wir den Tod anderer herbeiführen. Ich habe einen Sohn, und das hilft mir. Vielleicht solltest du dich auch häuslich niederlassen und das Gleiche tun. Ich bin zu alt für so etwas, Garbis. Wenn ich zu alt war, um an der Front zu sterben, wo es die schönsten und jüngsten Toten gab, dann bin ich auch zu alt, um Kinder zu machen. Wir waren Verdammte, aus welcher Schuld auch immer. Wer kann schon wissen, ob diese Verdammnis mit uns endet und nicht auf die Kinder übergeht? Denk an unsere Großeltern und unsere Eltern. Vielleicht haben wir das im Blut? Vielleicht wird das Opfersein vom Vater auf den Sohn übertragen. Aber Misak ..., sagte Großvater, doch dieser unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Garbis, ich bin nicht gekommen, um mich mit dir zu beraten. Ich zweifle nicht und benötige keinen Rat, auch fühle ich mich nicht verloren, wie vor zwanzig Jahren, sodass ich der Tröstung bedürfte. Ich bin nur gekommen, um mich zu verabschieden. Damit du von mir weißt, mehr nicht ... Ich werde dir hin und wieder eine Nachricht zukommen lassen, auf ganz bestimmte Weise, der du entnehmen kannst ... Und jetzt sollten wir uns verabschieden, hier, vor der Kirche, wie zwei Männer. Verabschiedungen am Bahnhof sind was für Verliebte ... Am Tor blieb er stehen und schaute zurück zu Großvater, der unter der Kastanie auf der Bank des blinden Minas sitzen geblieben war. Sahag kannst du es erzählen, ihm allein. Das Blut sieht gleich aus, in allen Adern, wenn man es ungehindert fließen lässt, man wird den Unterschied zwischen Henker und Opfer nicht erkennen können. Ich bin sicher, er wird verstehen.
Was wird nun geschehen?, fragte Sahag Șeitanian. Mittlerweile war Misak Torlakian verschwunden. Sein Aufenthalt in Focșani war nicht bemerkt worden, und es war niemand gekommen, um nach ihm zu fragen. Im Mai verschwand auch General Dro, dann Tatevos Bedrosian mit seiner gesamten Familie aus Constanța. Von den Initiatoren der Armenischen Legion waren die einen in Russland gestorben, andere nach Deutschland geflohen, aber in Rumänien war niemand mehr geblieben. Da die Keimzelle verschwunden war, weiteten die Aufklärungsdienste der Roten Armee den Kreis aus, und vor allem in Bukarest und Constanța begannen die Verhaftungen. Großvater war nahe dran, kurz vor Weihnachten verhaftet zu werden, während er die Kiste mit den gesammelten Schuhen in die Kirche trug, aber sei es, dass ihr Auto schon mit Verhafteten vollgestopft war, sei es auch, dass die russischen Soldaten nach einer weißen, somit schlaflosen Wodkanacht etwas träge geworden waren, Großvater, von Sahag Șeitanian beiseitegezerrt, konnte davonrennen, und er hörte nur noch die Rufe der Soldaten, die eher dazu angetan waren, ihn zu verscheuchen denn zu verfolgen. Und solange die Russen Misak Torlakian noch in Rumänien suchten, konnten sie nicht anderswo seiner habhaft geworden sein, sodass er frei seine Leidenschaften hinsichtlich der ihm von Simon Pilibossian anvertrauten Liste ausleben konnte, und das Pferd trabte durch seine Träume.
Was wird jetzt geschehen?, fragte Sahag Șeitanian. Sagen wir, es wird Frieden sein, antwortete Großvater Garabet, denn so gehörte es sich. Andererseits hat es so viele Kriege gegeben, die, verschiedene, ineinandergemengt waren, dass die Friedensverhandlungen es nicht schaffen, sie alle zu besänftigen. Und weil man nicht alle Leute zu den Verhandlungen
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