Buch des Flüsterns
zusammenrufen kann, werden manche von ihnen ihre Kriege weiterführen. Was für eine Art Frieden soll das dann sein?, fragte Sahag und spürte, wie Yusuf unruhig wurde und in seinen Eingeweiden aufquoll; fertig zur Geburt.
ELF
W as wird jetzt geschehen?, fragte Sahag Șeitanian und schaute über den Zaun herüber. Nach der vom König vollzogenen Ernennung von Petre Groza zum Premierminister hatte unsere Straße sich soeben beeilt, ihren Namen zu ändern, aus dem hinreichend uninteressanten bisherigen Namen Dulapuri 25 wurde 6. März 1945 – die Einsetzung der ersten demokratischen Regierung. Der Straßennamen bestand eigentlich nur aus dem Teil, der sich auf das Datum bezog, den Rest hatte man hinzugefügt, um die Ortsansässigen darin zu unterstützen, im Grunde nichts von dem zu begreifen, was mit ihnen geschah. Was wird geschehen?, fragte Sahag Șeitanian und schaute über die Straße auf die Männer in Ledermänteln, die Carol Spiegel, den Nachbarn von vis-à-vis, verhaften gekommen waren. Auf unserer Straße, der 6. März 1945, war dies das Ereignis, mit dem die erste demokratische Regierung ihren Einstand gegeben hat.
Was wird jetzt geschehen? Dies hatte Sahag Șeitanians Großmutter vor fünfzig Jahren gefragt, als sie an dem Tag, an dem die Osmanische Bank besetzt wurde, unter ihren weiten Röcken Pistolen für Armen Garos Gruppe durch die Seitengassen von Konstantinopel trug. Was wird geschehen?, hatten die anderen Eltern der alten Armenier meiner Kindheit von Trapezunt bis Adana, entlang der anatolischen Halbinsel und von einem Meer zum anderen gefragt, als sie im Morgengrauen die Trompeten hörten, die den Abschaum der Städte um die türkische Armee herum versammelten, um über die armenischen Stadtviertel herzufallen. Die gleiche Frage sollten sie sich auch zwanzig Jahre später stellen, als man auf den Kreuzungen der großen Straßen die dicken Trommeln und die Stimmen der Ausrufer hörte, langgezogen und kehlig wie der Ruf des Muezzins vom Turm der Moschee, die mitteilten, dass alle armenischen Familien in drei Tagen ihre Häuser zu verlassen hätten und nur so viel mitnehmen dürften, wie sie selber tragen könnten, auch hätten sie sich an den Stadträndern, an den Osttoren, in Konvois einzureihen. Auf den Lippen zurückbehalten hatten sie die Frage, wie lange die Widerstandsfähigsten unter ihnen die sieben Stufen des Todes nach Deir-ez-Zor hinabgestiegen waren. Was wird nun geschehen?, hatten die wenigen Überlebenden gefragt, die auf dem europäischen Ufer des Bosporus lebten, und die der Rauch aus den christlichen Stadtvierteln von Smirna und Konstantinopel zu den Häfen und den viel zu schmalen Landungsbrücken der Schiffe getrieben hatte. Ihr Weg zurück nachhause war von den Leichen gesäumt, die man in weiße Tücher gehüllt über den Damm geworfen hatte, Markierungszeichen, hinter die sie niemals mehr zurückgehen sollten. Und was wird jetzt geschehen?, hatten sie sich gefragt, als sie ihre Staatenlosenpässe fremden Behörden vorzeigten, drunter und drüber in provisorischen Unterkünften schliefen, tagsüber irgendwelche Lastenträgerdienste verrichteten, Wunder was von hier und da verkauften und dann allmählich ihre Geschäfte begründeten, die statt des erstickenden Rauchs der verstreuten Feuersbrünste die Spezereiaromen des Orients erstehen ließen. Was wird geschehen? Als sie wieder einmal der Krieg einholte, sie sahen, wie die verbündeten deutschen Armeen mit der beginnenden Ostfront sich festbissen, begannen sie, nächtens ihre Fenster mit schwarzem Pappkarton zu verdecken, und bereiteten ihre Koffer vor, stopften sie in Erwartung einer neuerlichen Deportation voll mit dicker Kleidung. Dann, als sich die Front umkehrte, versteckten sie sich hinter den Zäunen, schauten sich die neue siegreiche Armee an, die den Passanten die Uhren mitsamt den Ketten wegriss, um sie sich wie Medaillen um den Hals zu hängen, quer durch die Höfe der Leute hinter den Mädchen her war und auf der Suche nach Spiritus, den nur Soldaten trinken konnten, deren Kehlen vom Rauschen des Todes und des Steppenwinds ausgetrocknet waren, die Schaufenster der Apotheken einschlug. Was wird geschehen?, hatten sie sich gefragt, als sie das mit so viel Mühe zusammengetragene Gold hinter den Kacheln ihrer Öfen, unter den vom Boden gelösten Dielenbrettern, unter den Ackerfurchen im Garten oder unter der Hundehütte versteckten, als sie ihre Wertpapiere zwischen die Holzscheite im Schuppen steckten, als sie die
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