Buch des Flüsterns
Ohren, und sein erster Impuls war, die Pistole zu ergreifen. Dann aber sagte er sich, für solch eine Missgeburt wäre eine Kugel in die Stirn eine zu große Ehre, also packte er ihn im Nacken, zerrte ihn zur Tür und rief ihm »Du Esel!« hinterher. Da sich Simon jedoch nicht so leicht wegschaffen ließ, sich gar kräftig auf die Hinterbeine stemmte, strengte sich der Offizier, immer noch Simon am Nacken gepackt, kräftiger an und deutete auf brutale Weise Simons Aufforderung um, das heißt, er versetzte ihm ein paar kräftige Stiefeltritte in den Körperteil, den er »Kohlkopf deiner Mutter, du Arsch!« nannte. Und solcherart die Faust mit dem Stiefel begleitend und fortwährend »Du Esel!« rufend, warf der Offizier Simon auf die Straße und rief ihm ein letztes »Wehe, ich erwisch dich hier noch einmal, du Esel!« hinterher. So verbittert Simon auch sein mochte, wenn sie ihn beim Kaffee im Kirchhof aufforderten, »Erzähl,
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!«, also »du Esel«, dann erzählte Simon seinen Traum von der Ziege und dem Kohlkopf unter dem schallenden Gelächter der Zuhörer. Aber der Traum blieb Traum, und das Teehaus blieb verloren. Ohne Simons Sachkenntnis büßte es erst einmal seinen Reiz ein, dann die Aromen der englischen, chinesischen und indischen Tees, die bunten Tassen bröckelten und taugten allmählich nur noch zum Wodka- oder Glühweintrinken, und schließlich verwandelte sich das Teehaus in eine Spelunke.
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Simon schlich spätnachts herbei, nachdem sich das letzte Getrampel und Gelalle entfernt hatte, lugte sehnsüchtig durch die zerfetzten Vorhänge, hauchte auf die Scheibe, rieb sie mit dem Ärmel trocken und hatte die schmierigen Vitrinen vor Augen. Dann ließ er sich auf den Treppen nieder und wiegte sich bis zum Morgengrauen. Wo sie ihn eines Morgens fanden. Um ihn zu verscheuchen, traten sie ihm mit dem Stiefel in die Rippen. Erst als sie sahen, dass
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Simon ohne ein überraschtes oder schmerzhaftes Aufschrecken auf die Seite gekippt war, begriffen sie, dass er gestorben war. Sie riefen solche wie Großvater herbei, sie mögen sogleich vorbeikommen und ihren Toten abholen, damit er nicht die Zecher vertreibe. Die sich natürlich nicht vertreiben ließen, sondern mit großen Schritten über den Körper des Toten hinweggingen. Er schreckte sie keinesfalls, im Gegenteil, das tat ihnen gut, denn der Anblick des Todes steigerte den Durst der russischen Soldaten. Nachdem er sein ganzes Leben lang alles Mögliche ausprobiert hatte, sich eine Kerze links und eine rechts hingestellt und versucht hatte, sie beide gleichzeitig anzuschauen, bis ihm der Kopf vor Schmerzen zu zerplatzen drohte, oder er schloss je ein Auge und entfernte den Blick des anderen, so weit es irgend ging, von seiner Nasenwurzel, ließ die Augäpfel in seinem Schädel in die eine und dann in die andere Richtung kreisen, setzte sich lächerliche Brillengläser jeden Stärkegrads auf, bis er auf alle viere fiel, nach alledem entdeckte
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Simon schließlich das Heilmittel gegen seinen verknoteten Blick, und dieses Heilmittel war der Tod. Bevor der blinde Minas ihm die Augen schloss – immer rief man ihn dafür, denn die Berührung seiner Finger war die leichteste –, konnten sie sehen, dass
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Simons Augen gerade standen. Nun wäre endlich der Augenblick eingetreten, da er, das Hindernis beseitigt, auf der
Liste der Entsprechungen
des Der Ignados hätte vorankommen können. Aber leider war er mit der gewonnenen Eigenschaft des geraden Blicks einer anderen unerlässlichen Eigenschaft für das Vorankommen verlustig gegangen, nämlich der, lebendig zu sein, um nicht zu sagen, dass Der Ignadios selbst schon lange gestorben war, und die Liste, die zu ihrer Zeit viele Leute zusammengebracht hatte, darunter auch meine Großmutter Arșaluis mit Großvater Garabet, wurde mitsamt den an sie gerichteten Erwartungen unter dem Kirchenschmuck der armenischen Kirche von Galați vergessen.
Was wird jetzt geschehen? Dies war
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Simons Antwort, und die anderen lachten, wenn sie sich daran erinnerten, wohingegen
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Simon sich ärgerte, weil sie nicht einmal seinen Tod ernst nahmen.
Mein Laden war eine arme Schuhmacherwerkstatt, sagte Krikor Minasian und schielte resigniert zu Anton Merzian hinüber, fürchtete, seine traurige Rede werde auf dem Gesicht des anderen ein Lächeln der Genugtuung hervorrufen. Ich habe nicht verstanden, wozu sie die brauchten. Die Fabriken ja, das verstehe ich, obwohl, wenn man sich’s recht
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