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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Jungs! Worauf wartet ihr noch? Wo kann man am besten stehlen, nicht etwa dort, wo man von keinem Besitzerauge beobachtet und von keinem Finanzbeamten überprüft wird? In den Genossenschaften! Dann also auf in die Genossenschaft! Tagsüber arbeiten die Jungs in der Genossenschaft und abends in der häuslichen Werkstatt; sie bringen alles mit, sodass wir alles haben, was wir benötigen, Leder und Halbsohlen, Vorschuhe und Nägelchen und Schusterleim. Geht der Hammer kaputt oder die Zange oder der Leisten? Bitte sehr, ein Hammer, eine Zange und ein Leisten! Nur haben meine Jungs auch schon ein paar Laster angenommen und unterscheiden nicht mehr, jetzt hat es auch zuhause schon auf die schlampige Tour begonnen, sodass ich sie ständig im Blick behalten und ihnen sagen muss: Schneid das Stück gerade ab, sparsam, glaubst du, du bist in der Genossenschaft? Sodass ich euch dazu, was geschehen wird, Folgendes sage: Jedes Verlernen geht mit einer Lehre einher, warum sonst hätte der Staat, als er uns unsere Läden genommen hat, dafür die Genossenschaft gegeben?
    In diesen Dingen konnte ein Körnchen Wahrheit stecken. Großvater Garabet stöberte in einer Kiste und holte ein Paar Schuhe hervor. Ervant Hovnanian war schon in der Lubjanka gestorben, ebenso Saruni und der alte Harutiunian, die Schuhe waren für immer herrenlos geblieben. Und wenn ihr es geschafft hättet, sie ihnen zu geben, sagte Anton Merzian noch, unzufrieden darüber, dass die anderen seine Antwort für nicht ausreichend hielten, vor allem, weil seine Intervention aus einem Haufen ineinander verflochtener Fragen bestanden hatte und – nicht wahr? – zwei gut gezielte Fragen aufschlussreicher sind als eine zögerliche Antwort, hätten wir uns dann nicht lächerlich gemacht? Statt solcher Schuhe wickelt man sich gegen die Fröste Sibiriens besser die Füße in Lumpen ein, wie unsere Toten in Deir-ez-Zor, nicht wahr, Sahag? Sahag Șeitanian antwortete nicht, auch Yusuf, das heißt Josef, sein kleinerer Bruder, schwieg.
    Stattdessen sprach Vrej Papazian. Er war etwas jünger als die anderen, hatte ein schönes Gesicht mit mandelförmigen Augen und einem warmen Lächeln. Seine Schwester Virginica hatte die gleichen Augen, dazu noch langes gewelltes Haar und eine schmale Taille. Aber weil Virginica als Frau nicht an diesen Gesprächen teilnahm, bloß schweigend und im Vorbeigehen, wenn sie ihnen noch ein Stückchen aromatische Leichenschmaus-Halva auf die Teller legte, sprach Vrej Papazian an ihrer Stelle.
    Was für ein fleißiges und schönes Mädchen Virginica doch ist, sagte Vrej, rumänische und armenische Wörter vermischend, wie es seine Art war. Aber sie hat sich in einen verliebt, in den sie sich nicht hätte verlieben dürfen, sie hat kein Glück, wie so viele gute Mädchen. Sich keinen von all den Männern, die bei uns an die Tür geklopft haben, auszuwählen, und es waren Männer verschiedenster Art, sorgsam gekleidete, anständige, die einen mit Blumen und Champagner, andere mit Blumen und Bonbons, die ärmeren nur mit Blumen, und sich stattdessen blind in einen zu verlieben, der wie ein Kriegsgefangener in einem abgetragenen Militärmantel ohne Rangabzeichen steckte, und, wenn er nicht hinausgeschickt wurde, die Fäkaliengrube zu reinigen oder die trockenen Blätter aus dem Straßengraben zu fegen, tatsächlich im Gefängnis der Garnison saß, das kann ich nicht verstehen. Ja, zu allem Unglück hatte der Mensch zuhause in Nakhicevan auch noch eine Frau und Kinder, deren Foto er in der Tasche trug. Aber meine Virginica stand schon am frühen Morgen da und starrte mit großen Augen auf das Tor der Garnison; wie an Feiertagen trug sie das schwarze Kostüm, hatte die Haare wie Pensionatsmädchen mit einem feinen Netz umfangen und wartete, hoffentlich, hoffentlich kommt er mit dem Reisigbesen oder dem Schrubber zum Reinigen der Toiletten, ihr Prinz in kaffeebraunen langen Unterhosen und mit den schweren, schief gelaufenen Tretern ohne Schnürsenkel. Schrecklich, nicht?, platzte es, angewidert vom Bild der schief gelaufenen Treter, aus Anton Merzian hervor. Schon in aller Herrgottsfrühe, noch fuhren die Kutschen nicht zum Bahnhof, ging sie den langen Weg zur Garnison, nachdem sie ihm die ganze Nacht im Lampenschein Wollsocken gestrickt und Hemden genäht hatte, die er darunter tragen konnte, und die sein Weib und die Kinder auf dem Foto warm halten sollten. Der Bursche war tatsächlich nicht gerade hässlich, aber wer weiß schon, wie er wirklich

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