Buch des Flüsterns
überlegt, was ist das für ein Staat, der, anstatt dein Eigentum zu schützen, es dir wegnimmt. Aber meine arme Bude mit den zwei Lehrlingen? Also waren sie nicht zufrieden, dass ich etwa zwei Jahre lang russische Stiefel umsonst repariert hab. Oder vielleicht gerade darum, sie hatten sich daran gewöhnt, ihre Dinge ohne Geld erledigen zu lassen. Ich mache die gleiche Arbeit, und ist es nun besser so? Mit der Werkstatt in der Küche, heimlich, ohne Lehrlinge, denn die kriegen einen Rappel, wenn du sie zur Arbeit anhältst, und verpfeifen dich beim Fiskus, weil du keine Quittungen ausstellst. Man muss doch völlig blödsinnig sein, neunzig Prozent Steuern auf den Profit zu zahlen oder, wie man heute sagt, Benefiz. Es heißt, wenn du etwas verdienst, ist es Profit, wenn der Staat etwas verdient, ist es Benefiz, denn der Staat – von wegen! – profitiert nicht, er ist bloß Nutznießer. Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet sie, die sogar wissen, was du zwischen den Holzscheiten im Schuppen versteckt hast, nicht wissen, dass ich weiterhin meine Schusterwerkstatt betreibe. Ich glaube, was sie am meisten aufgebracht hat, war die Firma. Und ich Tolpatsch – nun schaute er absichtlich Anton Merzian an und bedeutete ihm, er müsse diesen letzten Worten nicht unbedingt überzeugt zustimmen – hatte mir ein unglaubliches Firmenschild machen lassen, farbig, damit man es schon vom Anfang der Straße sehen konnte. Jetzt sieht man es nicht mehr, von nirgendwo, es steht im Schuppen hinter dem Werkzeugschrank. Ab und zu nehme ich es hervor, ich setze mich auf den Schemel und schaue es an. Ich habe mir gesagt, das behältst du, wer weiß, vielleicht wird man es einmal wieder brauchen. Nur dass es an den Rändern abzublättern begonnen hat; der Rest ist ausgeblichen, es steht im Dunkeln, das arme, Firmenschilder ernähren sich vom Licht, wie die Blätter. Was kann es Traurigeres für einen Kaufmann geben, als dass er zusehen muss, wie seine Firma vor seinen Augen zugrunde geht ... Was haben die sich gedacht, wie wollen sie in einem Land gut leben, in dem die Firmen sterben? Alles, was ich von meinem Laden habe retten können, als sie ihn mir genommen haben, war das Glöckchen von der Eingangstür. Es ist nicht gealtert, ist immer noch ein Kind und hat ein fröhliches Klingeln, es freut sich, wenn es von der Tür angestoßen wird, woher soll es denn auch wissen, dass es nicht mehr die gleiche Tür ist?
Eine weitere Frage, auf die niemand antworten musste. Zu jener Zeit wurde der armenische Friedhof von einem Zaun aus rohem Holz umfasst. Mittlerweile sind die Deckel des
Buchs des Flüsterns
silbrig geworden, damals aber hatten sie die Farbe des Holzes. Sie waren somit vom
Buch des Flüsterns
umfasst, und wie alles, das sich darin befand, waren ihre Stimmen gedämpft, man konnte sie kaum hören. Deshalb gaben sie Anton Merzian zu verstehen, er möge vorsichtiger sein, denn wenn er redete und sich ständig etwas fragte, liefen seine Sätze in sich zuspitzenden Enden aus und waren deshalb lauter zu hören.
Müssen wir nicht weiterleben?, antwortete Anton Merzian. Das müssen wir, nicht wahr? Darum sind wir von zuhause weggegangen, aus Furcht vor den Jataganen, darum sind wir hierhergekommen, weil einige sagten, Rumänien sei ein gesegnetes Land, wo du – selbst wenn du bloß dasitzt und scheißt, Pardon! – dein Geld machst, und darum haben wir uns an jedem Jahresanfang auf Teufel komm raus bemüht, unsere Autorisationen zu kriegen, wenn wir sie erneuern mussten, elende Nansenianer, die wir waren, denn wenn wir nicht lebten, was würden wir dann tun? Wir haben Angst vor der Herrschaft, ohne Staat und ohne Papiere sind wir von ihrem Mitleid abhängig, sie haben uns hier aufgenommen, aber Staatenlose wie wir dürfen gar nicht woandershin gehen, selbst wenn wir heimlich über die rumänische Grenze gehen, nimmt uns niemand auf. Vielleicht bloß mitten auf dem Meer, wenn dort noch ein Inselchen übrig geblieben sein sollte, auf das noch niemand seinen Fuß gesetzt hat, aber solche Orte gibt es nicht, und selbst wenn es sie gäbe, wovon sollte man dort leben, wenn man alleine ist, wem sollte man die Schuhe besohlen? Aber wir gehen nirgendwohin, hier haben wir unser Haus, einen Ort zum Kaffeetrinken und einen Platz auf dem Friedhof, meine Frau Zaruhi, vierzig Jahre sind vergangen, seit ich sie von ihrem Vater gestohlen habe, in Panciu, sie ist auch alt geworden, und sie ist so taub, dass sie es gar nicht hören würde, wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher