Buch des Flüsterns
bleiben, Virginica war Verkäuferin, sie verkaufte Glasperlen sowie anderen billigen, den Zeitläuften entsprechenden Schmuck, aber auch dünne Goldketten, Silberschmuck und manchmal auch mit feinem Goldstaub überzogene Stücke. Abends ordnete sie ihre Pakete für den nächsten Tag, stellte sie im Keller kalt, den Tee oder die Suppe neben den Gasherd für ein letztes Aufwärmen, bevor sie dann frühmorgens in die Thermoskanne oder in Dunstgläser gegossen wurden. Danach schloss sich Virginica in ihrem Zimmer ein, goss sich heißes Wasser in die Waschschüssel und parfümierte es mit Salzpulver oder blauen Kristallen, die sie von türkischen Zigeunerinnen in Balcic gekauft hatte, rieb sich ausgiebig mit dem eingeweichten Handtuch ab und setzte sich dann so, die Poren von der salzigen Hitze geöffnet, das Fleisch erfrischt, splitternackt und strahlend vor den Spiegel und kämmte sich ausgiebig das Haar. Ohne sich von dem Spiegel wegzubewegen, schloss sie sodann die Augen und streichelte ihre Schultern, dann die bei ihrer kupferbraunen Haut violetten Brustwarzen und ließ die Hand langsam sinken, die Knie leicht geöffnet, zum Versteck zwischen den Schenkeln, wobei sie sich langsam weiter streichelte und seufzte, bis ihr Unterleib erbebte. Dann schloss sie die Schenkel um die nunmehr ruhenden Finger und blieb noch ein paar Minuten so sitzen, wartete, dass sich in ihrem Inneren, den Kreisen gleich, die sich auf dem Wasser ausbreiten, das Zittern aus ihrem Unterleib durch den gesamten Körper fortsetze. Danach schaute sie sich aus feucht glänzenden Augen und rot vor Scham im Spiegel an, schlüpfte unter die Decke und verkroch sich vor ihren Phantasien, kehrte zu den Dingen zurück, von denen sie am nächsten Tag erzählen wollte, und in denen vom Erzittern der inneren Frau keine Rede war.
Jedes Wort, das in ihrer Umgebung gesprochen wurde, ob es nun zurechtweisend oder zärtlich gemeint war, die Gesten und alltäglichen Ereignisse aus den damals üblichen Schlangen beim Anstehen um Brot auf Bezugsscheine, um Kleider, die man gegen Brot eintauschte, aus den Versammlungen der Arbeiter, bei denen Fragmente aus der Zeitung
Scînteia
27 verlesen wurden, denen sie zur Seite und gegen die Wand gerückt zugehört hatte, all dies nahm in Virginicas Schilderungen ganz und gar außergewöhnliche Dimensionen an, vor allem durch die Kraft der Einzelheiten und die Leidenschaft, die sie in jede Geschichte legte, wobei sie allerlei Interpretationen entwarf, alternative Lösungen vorschlug, nicht erklärte Schuld suggerierte und uneingestandene Absichten.
Wir können nur ungefähr abschätzen, wie lange diese Liebe gedauert hat, die nur deshalb hatte stattfinden können, weil die Zeitläufte immer erdrückender wurden, und je grausamer die Herrschaft wird, umso hilfloser ist sie angesichts der unmöglichen Vorkommnisse. Die Zeit war zu lang, meinte Vrej Papazian, der aus Mitleid mit seiner Schwester darum gebetet hatte, sie möge endlich vorbei sein, zu kurz war sie, wenn wir Virginica folgen, in deren Leben sich niemals mehr etwas ereignen sollte, das erzählenswert gewesen wäre, den Tag ausgenommen, an dem der Zitronenbaum verendete, den sie drei Jahre lang in der Erwartung in den Armen gehalten hatte, er werde seinen Geist aufgeben. Wie diese Zeit auf den Mann gewirkt hatte, können wir nicht wissen, denn er war im
Buch des Flüsterns
nur ein Passant, er verließ es und schloss die Tür hinter sich, um nie wieder zurückzukehren. Weil das Leben jedes einzelnen Menschen in parallele Biografien eingeht, deren eine bestimmt in irgendeinem mehr oder weniger ausführlichen, ermittelnden oder spitzfindigen Register eingetragen ist, je nach der Zeit, in der wir uns befinden, fand jemand zufällig die Papiere, die den armenischen Gefangenen in der Garnison von Focșani erwähnten, und so erinnerte die Rote Armee sich seiner. Sodass Virginica an einem Herbsttag, als sie ihm auf der Bukarester Chaussee entgegentrat, das Lächeln an den Lippen dahinschmolz, denn sie sah, dass der Soldat, in einen neuen Mantel gekleidet, statt eines Reisigbesens oder Schrubbers einen Holzkoffer in der Hand hielt. Den Weg bis zum Bahnhof durchlebte Virginica wie einen verrückten Traum, sie hätte ihn am liebsten zur Seite gezogen, damit sie gemeinsam hätten fliehen können. Du bist doch jetzt frei, nicht? Aber er war nicht frei, er befand sich bloß zwischen zwei Garnisonen, am Zug sollte er mit ein paar weiteren, in anderen Garnisonen vergessenen
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