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Buch des Todes

Buch des Todes

Titel: Buch des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Brekke
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konnte, hatte er dem Jungen oft gesagt. Sie zwei gehörten zusammen, auf jeden Fall, bis sie das Glück gefunden hatten.
    Darum also war der Barbier mit einem der Straßenjungen ins Gespräch gekommen, der die Reisenden auf dem Markusplatz um ihr Geld erleichterte. Diese Betteljungen waren nicht die einzigen Gauner Venedigs. In dieser Stadt wurde den Besuchern an jeder Straßenecke, bei jedem Kaufmann, Barbier oder Gastwirt das Geld abgeknöpft. Aber die Straßenjungen, die bettelnd ihre Finger in alle Taschen gleiten ließen, gaben nichts, aber auch gar nichts dafür zurück und waren noch verhasster als die Juden, dieses geplagte Volk, das man seit dem vergangenen Jahr nachtsüber hinter den Mauern der Kanonengießerei, im Ghetto Nuevo, einsperrte. Ähnliches war der Stadt bei den Straßenjungen noch nicht geglückt.
    Der Junge wusste aus eigener Erfahrung, dass der Barbier keine Schwierigkeiten hatte, mit Kindern ins Gespräch zu kommen. Er hatte nicht lange gebraucht und auch nicht viel zahlen müssen, um einen der Jungen zu überreden, ihm zu helfen.
    »Soll ich es wirklich so machen, dass er mich sieht und mir auch noch nachläuft?«, hatte der Betteljunge ungläubig gefragt, nachdem der Barbier ihn in den Auftrag eingeweiht hatte.
    »Ja«, hatte der Barbier geantwortet und ihm noch eine weitere Münze in die Hand gedrückt.
    »Ihr seid nicht bei Trost«, hatte der Junge gesagt und die Münze eingesteckt.
    »Erzähl mir noch einmal, was da in uns ist«, bat der Junge, als sie ihr Frühstück aßen, Oliven, Käse und saures Brot. Die Nacht in Deutschland war ihm noch lebhaft im Gedächtnis. Sie hatten in einer kleinen Hütte am Rand der Stadt gewohnt, und eines Abends war der Barbier mit einer toten Hexe angekommen, die er bei Tagesanbruch im Fluss ertränkt hatte. Er hatte sie nicht wie sonst vor den Mauern des Friedhofs verscharrt, sondern im Wald versteckt, bevor er sie abends geholt und zur Hütte geschleppt hatte. Hätte ihn jemand dabei beobachtet, wäre er selbst Gefahr gelaufen, ertränkt oder bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden. Dann hatte er den Jungen ins Bett geschickt, während er im Schein zweier Talglichter die ganze Nacht an dem toten Körper gearbeitet hatte. Der Junge hatte vom Bett aus, in dem er sich schlafend gestellt hatte, nicht viel gesehen, aber alles gehört und gerochen. Es hatte gestunken, und dieser Gestank war mit jedem Schnitt und jedem Brechen von Knochen schlimmer geworden. Nie zuvor hatte der Junge sich so lebendig gefühlt wie in diesem Moment. Tags darauf, als die Hexe schließlich hinter der Kirche verscharrt war – dort, wo der Weg zur Hölle am kürzesten war –, fragte er den Barbier, warum er sein Leben riskiert habe, um in einen Menschen hineinzuschauen. Dabei kannte er die Antwort, bevor sie kam.
    »Ich musste es einfach mit eigenen Augen sehen«, antwortete der Barbier. »Da drinnen ist eine ganz eigene Welt.«
    Die Hexe war in dieser Nacht nicht ganz und gar begraben worden, denn der Barbier hatte ihre Haut zurückbehalten. Sie lag präpariert ganz unten in seinem Reisesack.
    Jetzt saßen sie im morgendlichen Dämmerlicht in der Herberge in Venedig und kauten ihr saures Brot. Der Junge machte die ersten grauen Haare im schwarzen Bart des Barbiers aus. Die Augen des Barbiers waren klar, doch der Rest seines Gesichts wirkte müde und schlaff. Ein Eindruck, den nur wahre Erregung vertreiben konnte, wie an jenem Morgen, nachdem er die Hexe geöffnet hatte.
    »Da drinnen ist sehr viel Blut«, sagte der Barbier kurz angebunden und zeigte damit, dass er keine Lust zum Reden hatte.
    »Und das Blut wird in der Leber gelagert, richtig?«, fragte der Junge.
    Der Barbier nickte.
    »Und steigt von da ins Gehirn?«
    Wieder nickte der Barbier, ohne etwas zu sagen.
    »Und das Herz? Da wohnt die Seele, nicht wahr? Wohnt dort auch Gott?«
    »Gott ist überall«, sagte der Barbier. Endlich hatte der Junge ihn zum Reden gebracht. »Gott wohnt in jedem der vier Körpersäfte, sogar in der Melancholia, der schwarzen Galle. Gott wohnt in der Leber, in den Nieren und im Herzen. Trotzdem sagt man, dass die Lebenskraft im Blut steckt.Wenn ein Soldat verwundet auf dem Schlachtfeld stirbt, so deshalb, weil die Lebenskraft aus ihm herausfließt. Das heißt aber nicht, dass Gott ihn verlässt.«
    Die Leber, die Nieren und das Herz. Der Junge lauschte diesen Worten, als wären es die Namen von Engeln, von lebendigen Wesen, denen er noch nie begegnet war. Er wusste aber, dass auch sie zu

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