Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buch des Todes

Buch des Todes

Titel: Buch des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Brekke
Vom Netzwerk:
Einzige, die fehlte, war die Polizeipräsidentin, Dagmar Øverbye, aber sie bekam man eh nur selten zu Gesicht.Als Chefin war sie abwesender als Singsakers Tumor nach der Operation. Einige Spaßvögel im Präsidium nannten sie das Phantom, aber dank Menschen wie Gro Brattberg funktionierte dieser Führungsstil trotzdem recht gut. Er fragte sich sogar, ob überhaupt noch Platz für Øverbye gewesen wäre, wenn sie auch noch aufgetaucht wäre; immerhin war sie eine recht kräftig gebaute Frau. Der Flur hinter ihm hatte sich mittlerweile gefüllt. Irgendwie war es seinen Kollegen gelungen, sich unbemerkt von hinten anzuschleichen, und er fragte sich, ob ihm das als erfahrenem Polizisten peinlich sein musste. Das Peinlichste war aber, wie verflucht gerührt er darüber war. Irgendwo in all dem teuflischen Durcheinander aus Operationen, wochenlangen Krankenhausaufenthalten, durchschwitzten Laken, netten Krankenschwestern und den immer wiederkehrenden Träumen von seiner eigenen Leiche war ihm die Kontrolle über seine Gefühle abhandengekommen. Der alte Odd Singsaker hatte mit einem Mal nah am Wasser gebaut. In den Wochen nach der Operation hatte er schon über die kleinste Kleinigkeit weinen können. Selbst die bekloppteste Arztsendung hatte ihn heulen lassen wie ein junges Mädchen.
    Als er nun all die freundlichen Gesichter vor sich sah, das »Willkommen zurück«-Plakat, die Blumen auf dem halb-hohen Regal vor der Wand und Gro Brattberg, die an einem Blatt Papier herumfaltete, auf dem sie allem Anschein nach ein paar Begrüßungsworte notiert hatte, hatte er keine Chance. Sein Adamsapfel schwoll an wie ein Schwamm in einem Wasserbad, und die Tränen kullerten ihm aus den Augen. Es war das erste Mal, dass seine Kollegen ihn weinen sahen, dabei kannten ihn einige schon dreißig Jahre.Viele von ihnen gingen zu ihm und umarmten ihn, und auch das war vollkommen neu und so unerwartet, dass seine Tränen gar nicht versiegen wollten.Als Thorvald Jensen als Letzter seine Hand auf Odds Schulter legte, sich vorbeugte und ihn auf Männerart drückte, ohne Körperkontakt, wusste er, dass sein Job nie wieder so sein würde wie zu dem Zeitpunkt, als er ihn mit einem Tumor in Golfballgröße hinter der Stirn verlassen hatte. Er wusste nicht, was ihn erwartete, nur, dass es anders sein würde. Hauptkommissar Odd Singsaker, den wortkargen, nachdenklichen Ermittler mit den zynischen Kommentaren, gab es nicht mehr.Wer sein altes Ich ersetzen würde, wusste an diesem Vormittag niemand der Anwesenden.Wohl aber, dass nichts mehr so sein würde wie vorher.
    Und vielleicht war das ja auch gut so.
    Zum Glück normalisierten die Verhältnisse sich rasch wieder. Gro Brattberg hielt ihre Rede. Er bekam ein Moleskine-Notizbuch geschenkt (wobei er fast vergessen hatte, wie sehr er auf diese traditionellen Notizbücher schwor), und jeder bekam sein Stück Kuchen. Es folgten weitere Umarmungen, ehe sie in den Sitzungsraum gingen und mit einem kurzen Rapport über eine stille Nacht mit der Arbeit begannen. Die meisten im Team hatten ihre Fälle, an denen sie arbeiteten, einen ziemlich heftigen Fall von Hausfriedensbruch, einen Missbrauchsverdacht in einer Gemeinde, eine Jugendgang, die einen Gleichaltrigen verprügelt hatte – oder happy slapping , wie das heute hieß. Er selbst wollte den Tag darauf verwenden, sich wieder zu akklimatisieren und ein paar Telefonate zu führen. Brattberg war es gewohnt, dass Singsaker nicht zur Ruhe kam, bis er einen konkreten Fall beackern konnte, und versprach ihm deshalb den Missbrauchsfall, falls die Verdachtsmomente sich erhärteten.
    Endlich allein in seinem Büro, blätterte er durch das Notiz buch, das er bekommen hatte, und fragte sich, was eigentlich ein Moleskine von einem anderen Notizbuch unterschied. Hatten sie ihn zu einem besseren Ermittler gemacht? Aus dem beiliegenden Reklamefolder ging hervor, dass bedeutende Schriftsteller wie Ernest Hemingway diese Bücher benutzt hatten. Irgendwie kam es ihm so vor, als hätte er all das einmal gewusst, aber wieder vergessen, und irgendwie interessierte es ihn auch nicht mehr.Aber ein Notizbuch brauchte er auf jeden Fall, und so gesehen war es natürlich okay. In diesem Augenblick kam ihm sein Nachbar mit dem heruntergekommenen Cervelo in den Sinn.Wir haben wohl beide aufgehört, uns um gewisse Dinge zu scheren, dachte er.
    Nachdem er das leere Notizbuch durchgeblättert hatte, kaufte er sich in der Kantine ein trockenes Brötchen mit Käse und Schinken. Zurück

Weitere Kostenlose Bücher