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Buch des Todes

Buch des Todes

Titel: Buch des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Brekke
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Stück in Richtung Venedig, lag das, was die Lokalbevölkerung mit finsterem Raunen als den Friedhof der Unschuldigen bezeichnete. Es war kein gewöhnlicher Friedhof, sondern eine Art Acker, der von einer Steinmauer gesäumt war. Hierher brachte man die armen Leute, die der Pest zum Opfer fielen, wenn die Friedhöfe in Stadtnähe für all die Toten nicht mehr ausreichten. Hier beerdigte man aber auch Menschen, die hingerichtet worden waren oder Selbstmord begangen hatten, und auch solche, deren Seele aus irgendeinem Grund der ewigen Verdammung anheimgestellt worden war.
    Es gab viele verwilderte Hunde und unzählige Krähen in der Gegend um den Friedhof, und für jeden, der einen menschlichen Leichnam benötigte, war dies der perfekte Ort. Die Gräber waren nicht tief, die Bewachung schlecht und die Markierungen mehr als dürftig. Der Junge war mit dem Barbier schon öfter an diesem Ort gewesen. Meister Alessandro verdankte dem Friedhof der Unschuldigen einen Großteil seines Wissens.
    Sie hatten nicht immer das Glück, eine vollständige Leiche zu finden.Aber die Wissbegier des Meisters war groß und machte auch vor fleischlosen Gliedern nicht halt, die nur noch von Bändern und Sehnen und vielleicht einem letzten Muskel zusammengehalten wurden. Gemeinsam hatten der Barbier und der Junge Skelettteile aus verwesenden Leichen gerissen. Einmal bekamen sie so ein Schulterblatt, einen Arm, eine Hand, an der die Finger fehlten, und einen Fuß.Als der Meister die Teile sah, hatte er sie gleich wieder zurückgeschickt, um auch noch den Thorax zu sichern. Tags darauf verfrachteten sie das Skelett Stück für Stück aufUmwegen in die Stadt und nach Hause zu Meister Alessandro, sodass dieser bald ein beinahe vollständiges Skelett hatte.
    *
    Die beiden saßen auf der Mauer, die sich um den Friedhof der Unschuldigen zog, hielten jeder einen Spaten in der Hand und baumelten mit den Beinen, während die Sonne hinter ihnen unterging. Der Barbier pfiff ein Liedchen, das sie in Deutschland gelernt hatten. Es ging um einen Tagelöhner, der vor lauter Faulheit einschläft und lebendig begraben wieder aufwacht. Der Junge lauschte in die Nacht.
    Da hörten sie den Karren zum Tor hinter der Mauerecke rumpeln. Als die Flügel des Tores sich langsam öffneten, spran gen sie auf die Außenseite der Mauer und blieben im Schatten stehen. Die Sonne verschwand vollends, und Dunkelheit senkte sich über den Friedhof, während sie drinnen die Männer arbeiten und über die Hinrichtung reden hörten.
    Ein Dienstmädchen war für die Ermordung ihres eigenen, unehelichen Kindes verurteilt worden. Die Gerüchte erzählten, der Sohn ihres Dienstherrn, ein reicher Kaufmann aus der Gegend, habe sie geschwängert.Wahr oder nicht, die Frau war an diesem Nachmittag an den Galgen gekommen und wurde jetzt von den beiden Totengräbern verscharrt, die ohne Rücksicht auf die Verstorbene über sie redeten. Sie brauchten nicht lange für ihre Arbeit, und der letzte Teil ihres Gesprächs drehte sich um die Frau des einen Totengräbers, die auf dem Markt einen Prachtkerl von Hahn ergattert hatte. Die große Frage war nun, ob sie das Tier für Hahnenkämpfe abrichten oder für die Zucht nutzen sollten.
    Als die Männer schließlich mit ihrem Geschwätz und ihrer finsteren Arbeit am Ende waren, hörten die beiden, die sich hinter der Mauer versteckten, wie das Tor geschlossen wurde und der Karren sich durch das Dunkel entfernte.
    Die Mauer, kaum höher als der Barbier groß, war nicht dafür errichtet worden, Grabräuber abzuschrecken, sie diente lediglich dazu, die Blicke der Passanten abzuhalten. Die beiden kletterten rasch auf die andere Seite und fanden schnell den Ort, an dem die Totengräber die Leiche verscharrt hatten. Sie mussten nicht tief graben, um zu finden, wonach sie suchten, und schon nach zwölf Spatenstichen stießen sie auf festes Fleisch.
    Der Barbier befahl dem Jungen, sich hinzuknien und den Rest der Arbeit mit den Händen zu erledigen. Er begann an dem Ende, an dem er den Kopf vermutete. Nachdem er die lockere Erde zur Seite gewischt hatte, kam ein kreideweißes Gesicht zum Vorschein. Die geöffneten Augen waren voller, schwarzer Erde. Die Haut war glatt und kalt, und die schwarzen Haare hoben sich kaum von der ebenso dunklen Erde ab. Der Junge schob seine Hand unter den Nacken der Toten und hob den Oberkörper an. Er hielt den Kopf eine Weile in seinen Händen, als wollte er etwas sagen. Sein Blick hing lange an den blauen Lippen, und er

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