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Buch des Todes

Buch des Todes

Titel: Buch des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Brekke
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Gedanken weiter im Verborgenen und teilte sie nur mit einem kleinen Kreis von Kollegen, besonders vertrauten Studenten und dem Barbier. Der Junge hatte das selbst ein paar Mal miterlebt.An den größten medizinischen Schulen der christlichen Welt lernte man, dass der Körper des Menschen wie der des Affen war.An einigen Universitäten galt es gar als Sakrileg, ja als Gotteslästerei, etwas anderes zu behaupten. Galenos’ Lehre war die einzig wahre Lehre über das Innere des Menschen, sodass jedweder Versuch, sich handfeste Beweise für das Gegenteil zu verschaffen, schnell auf dem Scheiterhaufen enden konnte.
    In Padua, das unter dem umsichtigen Schutz Venedigs stand, war das anders. Die Gesetze der mächtigen Handelsstadt schrieben vor, dass jeder aktive Arzt verpflichtet war, mindestens einer Sektion eines hingerichteten Gefangenen pro Jahr beizuwohnen. In Padua hielt man mindestens zwei anatomische Übungen pro Jahr ab, und der Meister dozierte bei diesen Anlässen häufig. Bei der letzten dieser Sektionen, die im Hause eines Adeligen abgehalten worden war, hatte der Barbier, der neue Vertraute und Handlanger des Meisters, die Messer geführt.
    Während der öffentlichen Sektionen hielt der Meister gebührend Abstand zu den Leichen. Seine Rolle war es, am Katheder zu stehen und zu lehren. Doch genau das bedrückte das Gemüt des Meisters, das wusste der Junge. Denn am Katheder war Galenos der Lehrmeister, während es an der Leiche die eigenen Augen waren. Der Barbier sah direkt vor sich, was Galenos nie gesehen hatte, während des Meisters Augen fest auf die alten Schriften des Arztes gerichtet waren und er sich fühlte wie ein Strafgefangener im Gefängnis des Textes.
    Aber für jede öffentliche Sektion fanden sicher fünf inoffizielle statt. Der Junge hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie oben auf dem Dachboden von Meister Alessandro Menschen seziert hatten. Er hatte dabei geholfen und in eini gen Fällen sogar mit dem Barbier die Leichenteile besorgt.Während dieser Sektionen erlaubte der Meister sich, selbst das Messer zu führen, und der Junge hatte dabei mit eigenen Augen gesehen, mit den eigenen Fingern gefühlt und mit seiner Nase gerochen, wie unendlich wenig der Mensch über sich selbst wusste.
    Die Vermutung, dass Galenos entscheidende Fehler gemacht hatte, war langsam zur Gewissheit geworden, doch erst bei der Sektion der drei rabiaten Affen hatte er schließlich erkannt, wo der größte Fehler lag. Der Mensch steht nicht nur wegen seiner Verdienste über den Tieren, nicht nur wegen seines Geistes, nein, auch seine Organe waren denen der Tiere überlegen. Im Körper eines Menschen gingen Dinge vor, die der Körper eines Affen uns niemals würde erklären können.
    Am nächsten Tag sollte geschehen, was den Meister schon lange gereizt, was er aber noch nie auszuführen gewagt hatte. Er hatte nur seine vertrautesten Freunde eingeladen und wollte zum ersten Mal bei einer Sektion mit Zuschauern selbst das Messer führen. Es war keine offizielle Sektion. Die Leiche mussten sie selber beschaffen.
    Das anatomische Theater war seine eigene Erfindung. In Gedanken hatte er sich schon lange nach einer Konstruktion wie dieser gesehnt. Die Lösung des Problems war ihm nach und nach in Form von Einfällen und Geistesblitzen gekommen. Irgendwann hatte er das Ganze aufgezeichnet und die Pläne mit zu Baumeister Alfonso genommen.
    Anschließend hatte er im Garten hinter seinem Haus in Padua dieses Theater errichten lassen. Es bestand aus drei Bankreihen in einem runden Amphitheater. Die Reihen lagen schräg übereinander, sodass man auch von der oberen Reihe alles aus nächster Nähe sah. Das Theater war ohne Dach konstruiert worden, damit das Tageslicht den Blick bei seiner Entdeckungsreise unterstützte. In der Mitte des Theaters befand sich ein drehbarer Tisch für den Leichnam. Die ganze Konstruktion bestand aus Holz.Aber wie der Meister sagte: »Ein Bau wie dieser sollte aus Stein sein. Man sollte ihn am besten Platz der Stadt errichten, und er sollte Bankreihen für Hunderte von Zuschauern haben. Ein anatomisches Theater sollte nicht wie dieses primitive Bauwerk in einem Hinterhof versteckt werden.«
    Alessandro nahm schließlich seinen Umhang ab und sah zu dem Barbier und dem Jungen hinüber. Sein Blick war jetzt wieder ruhiger.
    »Alfonso ist gestern Abend fertig geworden«, sagte er. »Jetzt fehlt uns nur noch eine Leiche. Bei Sonnenuntergang wird es aufklaren.«
    Außerhalb der Mauern Paduas, ein kurzes

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