Bucheckern
herausgetrennt und ihre Kopien aus dem Umschlag genommen hatte, derjenige hatte es ziemlich sicher deswegen getan, weil er mitbekommen hatte, dass sich die Polizei für die längst vergangenen Geschehnisse interessierte. Wie und wann hatte das aber jemand bemerken können? Doch wohl nur rein zufällig. Viele Möglichkeiten, wie der Zufall hier seine Hand im Spiel hätte haben können, kamen Lindt in den Sinn.
Er bestellte noch eine heiße Wurst, weil das Sättigungszentrum seines Gehirns noch keine Zufriedenheit signalisierte und er zudem das Gefühl hatte, an dem Kunststofftisch neben dem Imbisswagen besonders gut nachdenken zu können.
Vielleicht hat Ebert irgendjemandem etwas erzählt? Einem Kollegen, beim Kopieren im Archiv, im Bekanntenkreis abends in einer Kneipe? Jan Sternberg hatte Ebert um die Zeitungsausschnitte gebeten. Wie hatte er das gemacht? Telefonisch? Persönlich? Hatte er ihn gezielt angerufen oder zufällig irgendwo getroffen? Könnte dabei jemand mitgehört haben?
Lindt hatte das Gefühl, in dieser Richtung weiter nachbohren zu müssen. Er wischte sich Mund und Finger an einer Serviette ab, entsorgte die beiden Pappdeckel mit den Senfresten in der bereitgestellten Tonne, lobte bei der Verkäuferin die Wurst als ›prima‹ und schwang sich wieder auf sein altes Damenrad.
Im Präsidium war Paul Wellmann über die Liste mit den Codekartenbenutzern des Zeitungsarchivs gebeugt und warf Lindt bei dessen Eintreten einen wenig hoffnungsvollen Blick zu. „Wir könnten noch die einzelnen Kolleginnen und Kollegen von Klaus Ebert befragen, die hier draufstehen. Vielleicht hat von denen jemand durch Zufall mitbekommen, was er da kopiert hat und dass es für uns bestimmt war“, sagte er, aber der leichten Mutlosigkeit in seinem Tonfall war anzumerken, dass er sich von dieser Vorgehensweise keine weiterführenden Erkenntnisse versprach.
„Du denkst an den Zufall, Paul?“ erwiderte Lindt. „Der ging mir auch im Kopf rum.“
Die beiden Kommissare sprachen nochmals alle Details durch, als auch Jan Sternberg zurückkam und durch die Bürotüre trat. Er lehnte sich an den niedrigen Aktenschrank, auf dem die Kaffeemaschine stand. Da er fast den ganzen Tag zusammen mit den Kollegen der technischen Abteilung eine unauffällige Kamera-überwachung von ›Blanco‹ organisiert hatte, fiel es ihm etwas schwer, die Zusammenhänge zu verstehen.
Lindt blätterte in seinem schwarzen Notizbuch und zählte die Personen der Stadtverwaltung auf, die nach den Vermutungen von Chefredakteur Blech vor zwanzig Jahren für eine beschleunigte Bebauungsplanung geschmiert worden waren. Er wiederholte die Namen des verurteilten und zurückgetretenen Baubürgermeisters, des Dezernenten, den an seinem Schreibtisch der Herztod ereilt hatte und des Abteilungsleiters, der angeblich seinen Ruhestand finanziell gut gepolstert im sonnigen Süden genießt. Beim Namen von Alfred Burgbacher, der damals als junger Bauingenieur die Pläne für die Erweiterung des ›Blanco‹-Werkes gefertigt hatte, zuckte Sternberg zusammen.
„Kennst du den?“ fragte Lindt, der es bemerkt hatte.
„Kennen wäre zuviel gesagt“, antwortete Sternberg zögernd. „Er ist auch in meinem Sportverein, bei der DJK-Ost. Abteilungsleiter Tennis, glaube ich. Arbeitet irgendwo bei der Stadt, als Ingenieur. Seinem dicken BMW nach, verdient er da wohl nicht schlecht.“
„Setz dich doch mal hier her, Jan“, Lindt schob ihm einen Stuhl hin, denn in ihm keimte ein Verdacht. „Den Ebert, diesen Redakteur vom Tagesspiegel, den kennst du doch auch von deinem Sportverein.“
„Ja, klar, wir haben da früher gemeinsam Fußball gespielt und jetzt trinken wir noch manchmal in der Vereinsgaststätte ein Bier zusammen.“
Lindt wollte es genau wissen: „Wo hast du mit dem Klaus Ebert denn wegen den Zeitungsartikeln gesprochen? Etwa auch in der vollbesetzten Sportlerkneipe, an der Theke vielleicht?“
„Was soll denn diese Frage? Habe ich doch erzählt, dass wir uns ab und zu dort treffen. Beim letzten Mal habe ich die Gelegenheit gleich beim Schopf ergriffen und ihn um die Kopien aus dem Zeitungsarchiv gebeten.“
„Beim ... letzten ... Mal ...“ wiederholte Lindt in ziemlich gedehnter Aussprache, „vielleicht war es für deinen Freund Ebert ja das allerletzte Mal.“
„Das kann er doch noch gar nicht wissen, Oskar“, unterbrach ihn Paul Wellmann. „Er war doch schon bei der Technik, als der Staatsanwalt uns heute Vormittag über den Unfall berichtet
Weitere Kostenlose Bücher