Bucheckern
Mitarbeiterparkplätze sind außerhalb vom Werksgelände. Da ist also wirklich nicht allzu viel los.“
„Prima Jan“, lobte ihn Lindt, der den Mitarbeiter seit dessen Ausbildungszeit immer noch duzte, wogegen Sternberg seinen Vorgesetzten völlig selbstverständlich immer mit ›Sie‹ und ›Chef‹ ansprach. „Hoffentlich werben dich die Nachrichtendienste hier nicht ab. Gestern Luftüberwachung, heute fernübertragene Kameraaufnahmen am Boden ...“
„Genau, und morgen verwanzt er das ›Blanco‹-Chefbüro“, witzelte Paul Wellmann zur Erheiterung aller.
„Wir dürfen unsere Kamera-Aktion nur nicht gerade an die große Glocke hängen.“ Lindt legte seine Stirn in Falten. „Unser Lieblingsstaatsanwalt hat heute Morgen dummerweise mitbekommen, dass wir diese Fabrik im Auge haben. Hat ihm nicht so ganz gefallen. Wir hätten ihn vorher fragen sollen. Unseren guten Draht zur Staatsanwaltschaft sollten wir nicht unbedingt überstrapazieren. Bestimmt brauchen wir den Herrn Conradi bald mal wieder.“
„Für Durchsuchungsbeschlüsse, meinst du wohl“, Paul Wellmann hatte schnell verstanden, worauf Lindt mit seiner Bemerkung abzielte.
„Später vielleicht, Paul, aber erstens haben wir jetzt Freitag Nachmittag und selbst die Mordkommission hat das Recht auf ein Wochenende. Und zweitens müssen wir erst mal abwarten.
Warten – erstens, wann die Ärzte den Ebert aufwachen lassen, zweitens, warten, ob die Fahndung nach dem BMW etwas ergibt und drittens, warten, ob auf dem Überwachungsmonitor ein verdächtiges Fahrzeug auftaucht, das durch das Werkstor fährt.“
Lindt stellte am Telefon die Rufumleitung auf sein Handy ein, stand auf, machte das Fenster zu, das wegen des Pfeifenqualms immer etwas geöffnet war und zog seine Jacke an: „Und das können wir auch zu Hause, außerdem ist es schon fast fünf. Ich verabschiede mich also bis Montag, falls nicht über das Wochenende irgendetwas Besonderes vorfällt.“
Auch wenn er für die kurzen Wege in der Stadt gerne sein Fahrrad nahm, nutzte Lindt für seinen Heimweg in die Waldstadt immer den Dienstwagen. Zuviel Sport war dann doch nicht seine Sache. Er wollte gerade das Handy aus der Freisprecheinrichtung nehmen, um zu Hause auszusteigen, als ihn ein Kollege vom Streifen- und Verkehrsdienst erreichte. Leider hatte die Fahndung nach Alfred Burgbacher und seinem schwarzen BMW immer noch nichts ergeben. Zu Hause in seinem großzügigen Einfamilienhaus in Neureut war niemand anzutreffen. Lindt entschied, die Fahndung auch auf die Grenzübergänge ins nahe Frankreich auszudehnen und bat darum, unbedingt auf dem Laufenden gehalten zu werden.
Es fiel ihm oft nicht leicht, abends abzuschalten, wenn er mit einem wichtigen Fall beschäftigt war. Seine Frau Carla merkte das immer sehr schnell daran, dass er nicht recht zuhörte, oder auf Fragen unpassende Antworten gab. Als bewährtes Mittel, ihren Oskar auf andere Gedanken zu bringen, schlug sie dann meistens vor, gemeinsam etwas Leckeres zu kochen. Für gutes Essen war er immer zu haben und wenn sie beim Gemüseschneiden oder Salatputzen etwas aus ihrem Arbeitstag in der Anwaltskanzlei erzählte, gelang die Ablenkung meistens.
Abschalten durch Fernsehen funktionierte bei Lindt auch, aber meistens so gut und schnell, dass aus dem Abschalten ein Ausschalten wurde und er schon kurz nach der ›Tagesschau‹ einnickte. Hochgelegte Beine, bequemer Fernsehsessel und das Flimmern des Bildschirms wirkten bei ihm besonders gut zusammen. Lindts jüngste Tochter Lena, die in Freiburg Medizin studierte, hatte das blitzartige Einschlafen ihres Vaters kürzlich scherzhaft als ›Narkolepsie‹ tituliert. ›Schwere, plötzlich auftretende, zeitweilige Störung des Wachzustandes, nur durch körperliche Aktivität zu überwinden‹, war ihre Diagnose gewesen. Die als Therapie vorgeschlagenen abendlichen Joggingrunden hatten bei ihrem Vater allerdings gar keine Gegenliebe gefunden. Die Küchenarbeit kam ihm da schon eher entgegen. Zudem war sie ja mit unmittelbar darauf folgenden Gaumenfreuden verbunden.
Diesmal sollte es eine nach original italienischem Rezept selbstgemachte Tomatensoße werden, die mit reichlich Basilikum gewürzt, schon eine gute Stunde auf ganz kleiner Flamme köchelte. Beide liebten dieses eigentlich einfache Gericht, was durch beste Zutaten seinen unvergleichlichen Geschmack bekam.
Lindt war gerade dabei, den Sugo mit einem großen Löffel durch ein Sieb zu passieren, um dann die Sahne anzugießen,
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