Bucheckern
Außenanstrich der Fenster vor ein paar Jahren hatte der Maler die Metallhalterung so weit zur Seite gedreht, dass Lindt fürchtete, beim Zurückbiegen würde sie abbrechen. Also musste man sich eben aus dem Fenster beugen und Luftschnappen war beim Temperaturablesen inbegriffen.
Noch bevor er allerdings zum Thermometer schaute, blieb sein Blick an einem orangeroten Wagen auf der Straße unten vor dem Polizeipräsidium hängen. Ein Lastwagen mit Tankaufbau stand da auf der Beiertheimer Allee und zwei in Warnfarben gekleidete Männer waren gerade dabei, einen Kanaldeckel hochzuheben.
„Warum nicht“, dachte Lindt, „einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.“ Er eilte die Treppen hinunter, verließ das Präsidium durch eine rückwärtige Seitentür, bog um eine Straßenecke und ging wie zufällig auf dem Gehweg weiter bis zu den beiden Arbeitern, von denen einer gerade in den Schacht hinuntersteigen wollte.
Neugierig warf er einen Blick in die kreisrunde Öffnung.
„Na, alles in Ordnung im Untergrund?“, begann er das Gespräch.
„Ach, das Übliche halt, da vorne ist ein Abfluss verstopft, von dem großen Wohnhaus dort. Vielleicht hat wieder einer seinen Abfall über’s Klo entsorgt. Jetzt können wir schauen, ob sich der Hausanschluss vom Hauptkanal aus frei spülen lässt.“ Die Gesichtshaut der Arbeiter war ziemlich runzelig und zeigte eine auffällig dunkle Färbung. Bestimmt nicht gesund, in der stinkenden Umgebung da unten zu arbeiten, dachte der Kommissar, als er die beiden kurz aber intensiv betrachtete.
„Können Sie da ohne Gasmaske überhaupt runter?“, wollte er wissen. „Ach“, winkte einer der beiden ab, „wenn wir immer erst das ganze Schutzzeug anziehen würden, dann gäb’s ja heut’ gar keinen Feierabend mehr. Mit der Zeit gewöhnt man sich an den Gestank. Wir merken das schon gar nicht mehr. Und die Ratten kennen wir auch alle persönlich – mit Vornamen. Aber ehrlich“, er lachte und zeigte auf Lindt’s Pfeife, „ihr Tabak riecht da schon wesentlich angenehmer.“
Der andere war etwas ernster: „Wenn wir dann wirklich länger was schaffen und so richtig im Dreck, dann geht’s natürlich nicht ohne Watthose, Gummianzug und so.“
„Einer von meinen Nachbarn“, besann sich der Kommissar, warum er eigentlich gekommen war, „der arbeitet auch bei euch, aber mehr drin im Amt, als Ingenieur, wenn ich’s recht weiß. Kennen Sie den? Burgbacher, Alfred Burgbacher heißt er. So Mitte vierzig ungefähr.“
Die beiden Arbeiter schauten sich an und zuckten mit den Achseln. „Die vom Büro kennen wir weniger, die wollen sich die Hände nicht gern dreckig machen.“
„Na ja, ist ja auch nicht so wichtig“, sagte Lindt. „Mir hat er halt kürzlich erzählt, dass er auch was mit Kläranlagen und Kanalisation zu tun hätte. Ich werd’ ihn demnächst mal genauer fragen.“
„Also“, meinte der Ältere der beiden, „mir ist er nicht bekannt, aber es kann sein, dass er gar nicht bei uns sitzt.“ Er zeigte auf die Aufschrift an der Tür des Fahrerhauses. „Wir gehören zum Tiefbauamt. Wir machen mehr den Betrieb vom Klärwerk und die Unterhaltungsarbeiten im Kanalnetz. Wenn der eher so Verwaltung oder Berechnung oder Genehmigung macht, kann er auch beim Umweltamt sein. Die haben da auch was mitzureden.“
„Ja, die mischen sich immer wieder bei uns ein“, pflichtete ihm der Jüngere bei, während er auf den eisernen Trittstufen in den dunklen Schacht einstieg.
Lindt schaute ihm nach, bis er in der Tiefe verschwunden war, warf noch einen interessierten Blick auf die dicken Saugschläuche des Tankwagens, wünschte dann einen guten Tag und ging weiter die Straße entlang.
Um den Schein zu wahren, er sei zufällig vorbeigekommen, konnte er natürlich nicht einfach umdrehen und zum Präsidium zurückgehen, sondern musste den ganzen Block umrunden.
„Auch ganz angenehm, so ein kleiner Spaziergang, vielleicht war der Tipp der beiden Kanalarbeiter ja gar nicht schlecht“, sagte er zu sich selbst, als er wieder in sein Büro trat.
Das Amt
Er begann, im Internet das Umweltamt zu suchen und stieß tatsächlich auf den Geschäftsverteilungsplan, der zum Herunterladen angeboten wurde.
Als der Download abgeschlossen war, scrollte er sich mithilfe seiner Computermaus durch das umfangreiche Dokument auf dem Monitor und fand schließlich das gesuchte Fachgebiet. Über drei Seiten umfasste die Liste der Mitarbeiter, die mit Abwasser, Kläranlagen und Kanalisation zu tun
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