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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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mir quer durch den Raum zu.
    Seine Bewegungen waren auf einmal außerordentlich flink und präzise; man mochte nicht glauben, daß es derselbe Mann war, der eben noch schwankend auf seinem Schemel gesessen und die Schnapsflasche angeglotzt hatte. Er nahm die Lampe vom Tisch, schraubte sie geschwind auf, ließ das Petroleum auf den Boden auslaufen und schleuderte den brennenden Docht hinterher. Das Petroleum flammte auf, kurze Zeit später auch der vergossene Schnaps. Die Stube wurde vom tristen Schein des sich ausbreitenden Feuers erhellt. Tiefe Schatten legten sich über Tschapajews Gesicht, das mir jetzt uralt vorkam – und dabei seltsam vertraut. Mit einem Ruck warf er den Tisch um, bückte sich und zog an einem Metallring im Fußboden, wodurch sich eine kleine, hölzerne Luke auftat.
    »Gehen wir«, sagte er, »hier gibt es für uns nichts mehr zu tun.«
    Stufen ertastend, begann ich in das dunkle, feuchte Loch hinabzusteigen. Etwa zwei Meter unter dem Dielenboden schien der Grund des Schachtes erreicht; ich fragte mich gerade, was wir dort unten anstellen sollten, als mein Fuß, mit dem ich nach der Wand des Schachtes tastete, ins Leere stieß. Tschapajew folgte so dicht, daß er mir mit dem Stiefel gegen den Kopf trat.
    »Mach schon!« kommandierte er. »Schneller!«
    Von der Stiege führte ein enger, niedriger, mit hölzernen Stempeln abgestützter Tunnel weg. Ich kroch vorwärts, ohne in der Finsternis etwas erkennen zu können. Da ein frischer Wind durch den Tunnel fegte, konnte der Ausgang nicht weit sein.
    »Stopp!« flüsterte Tschapajew. »Wir müssen einen Moment warten.«
    Er war etwa zwei Meter hinter mir. Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich mit dem Rücken gegen einen der Stützpfosten. Lärm drang von oben herab, Rufe, die man nicht verstand, nur einmal hörte ich deutlich Furmanows Stimme brüllen:
    »Nicht da rein, Mann! Willst du dich abfackeln? Die sind da nicht mehr drin, sag ich dir! Habt ihr die Glatze geschnappt?«
    Ich stellte mir diese Leute vor – umherirrend zwischen rauchgeschwängerten Phantomen, wie ihr kollektiv getrübter Verstand sie ihnen vorgaukelte –, und mir war auf einmal sehr zum Lachen.
    »He, Wassili Iwanowitsch!« rief ich leise.
    »Was ist?«
    »Eins hab ich begriffen. Es gibt nur eine Freiheit – sie bedeutet, frei zu sein von allem, was der Geist ausheckt. Diese Freiheit trägt den Namen ›Weiß ich nicht‹. Sie haben hundertprozentig recht. Es gibt da so einen Satz, wissen Sie: Ein ausgesprochener Gedanke ist Lüge. Und ich sage Ihnen, Tschapajew, der unausgesprochene Gedanke ist genauso Lüge, denn in jedem Gedanken steckt schon etwas Ausgesprochenes.«
    »Das hast du schön gesagt, Petka«, drang Tschapajews Stimme aus dem Dunkeln zu mir.
    »Wo ich weiß, da hört die Freiheit auf«, sponn ich den Gedanken fort. »Nichts zu wissen macht vollends frei. Freiheit ist das größte Geheimnis von allen. Die da« – ich tippte gegen die niedrige Tunneldecke über mir – »wissen nicht, wie sehr sie von allem frei sind. Sie wissen nicht, wer sie wirklich sind. Die denken, haha«, ich bekam einen Lachkrampf, »die denken, sie sind Weber, hihi.«
    »Still!« mahnte Tschapajew. »Lach nicht so laut, die könnten dich hören.«
    »Das heißt, nein«, verbesserte ich mich, nach Luft schnappend, »sie denken nicht bloß, daß sie Weber sind, sie wissen es sogar!«
    Tschapajew stieß mich mit dem Stiefel an.
    »Vorwärts!« befahl er.
    Ich atmete ein paarmal tief durch, um einen kühlen Kopf zu bekommen, und kroch weiter. Den Rest der Strecke legten wir schweigend zurück. Wohl seiner Enge wegen kam mir der Tunnel unglaublich lang vor. Feuchtigkeit stieg in die Nase, dazu ein vager Heugeruch, der sich mit der Zeit verstärkte. Endlich prallten meine ausgestrecken Hände gegen eine Wand. Ich stellte mich auf, streckte mich und stieß prompt mit dem Kopf schmerzhaft gegen Metall. Blind tastete ich um mich und kam zu der Vermutung, daß ich in einer niedrigen Grube stand, über der sich eine Eisenplatte befand. Zwischen Platte und Grubenrand war ein Abstand von ungefähr einem halben Meter, durch den ich mich nun hinauszwängte; er war mit Heu gefüllt, das ich einen, vielleicht zwei Meter weit vor mir herschob, bis ich auf ein großes Rad aus Vollgummi stieß. Mir dämmerte, wo ich mich befand: Es konnte sich nur um jenen Heuschober handeln, den der wortkarge Baschkire mit seiner Flinte so penetrant bewacht hatte – und nun wußte ich auch, wo Tschapajew seinen

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