Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Wohl.«
    Achselzuckend gab ich auf. Da war nichts zu machen.
    »Auf Ihr Wohl, Wassili Iwanowitsch.«
    Wir tranken. Tschapajew glotzte nachdenklich auf das mickrige Flämmchen in der Lampe.
    »Ich hab in der Zwischenzeit über deine Träume nachgedacht«, sagte er und legte die flache Hand auf den Ordner. »Die Storys, die du aufgeschrieben hast, hab ich alle noch mal gelesen. Die mit Serdjuk, die mit dem komischen Maria und die mit den Ganoven. Hast du eigentlich mal darauf achtgegeben, wie du aus diesem ganzen Zeug aufwachst?«
    »Nein.«
    »Dann versuch dich zu erinnern.«
    Ich dachte nach.
    »In irgendeinem Moment geht mir immer auf, daß es ein Traum ist, und das war's dann«, sagte ich zögernd. »Immer wenn es richtig arg wird, kriegt man plötzlich mit, daß man keine Angst zu haben braucht, weil …«
    »Weil?«
    »Ich suche noch nach den richtigen Worten. Weil … weil da etwas ist, wo man sozusagen hinerwacht.«
    Tschapajew schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
    »Und wohin, wenn ich fragen darf?«
    »Ich weiß nicht.«
    Tschapajew blickte mir in die Augen und lächelte. Plötzlich hatte ich nicht mehr den Eindruck, daß er betrunken war.
    »Alle Achtung«, sagte er. »Ins Schwarze getroffen. Wenn der Traumstrom dich einmal erfaßt hat, wirst du ein Teil von ihm, in ihm ist alles relativ, alles fließt, und da ist nichts, woran man sich festhalten könnte. Du merkst nicht einmal, wenn es dich in einen Taifun hineinzieht, denn du schwimmst mit der Strömung, und es sieht so aus, als stünde das Wasser still. So kommt man im Traum zu einer Art Realitätsgefühl. Aber es gibt einen festen Punkt – fest nicht in bezug auf etwas, sondern absolut und an sich – und der heißt ›ich weiß nicht‹. Wenn du auf den stößt, fliegst du raus aus dem Traum. Genauer gesagt, du wachst in diesem Punkt auf und landest dann hier.«
    Er deutete mit der Hand auf den Raum, in dem wir saßen.
    Draußen knatterte eine Maschinengewehrsalve, gleich darauf brachte eine Detonation die Fensterscheibe zum Klirren.
    »Dieser Punkt aber«, fuhr Tschapajew ungerührt fort, »ist auch im Leben absolut fest, ihm gegenüber ist dieses Leben genauso ein Traum wie alle deine Geschichten. Die ganze Welt ist ein Taifun von Gedanken, und sie wird nur deshalb zur Realität, weil du im Auge des Taifuns sitzt und sagst: Ich weiß.«
    Das letzte Wort betonte er übertrieben.
    Ich stand auf und trat zum Fenster.
    »Tschapajew, ich glaube, die haben das Gutshaus angezündet.«
    »Nichts zu machen, Petka. So ist die Welt nun mal. Fragen gibt es viele, Antworten findet man erst, wenn das Haus brennt.«
    »Wirklich«, sagte ich, während ich wieder ihm gegenüber Platz nahm, »das klingt alles sehr spannend, Gedankentaifun und so weiter. Daß zwischen realer und nicht realer Welt nur ein subjektiver Unterschied besteht, leuchtet mir ein. Aber jeden Moment könnten ein paar sehr unangenehme Personen durch die Tür treten … Nicht daß ich behaupten möchte, sie wären real, aber es steht zu befürchten, daß sie uns ihren Realitätsgrad handgreiflich demonstrieren wollen.«
    »Ha!« machte Tschapajew. »Daraus wird nichts. Paß auf.«
    Er ergriff die Flasche, zog ein kleines blaues Schälchen zu sich heran und goß es randvoll. Dann tat er das gleiche mit einem Glas.
    »Da, schau her. Schnaps ist für sich genommen ein formloses Etwas. Hier ist das Glas, da die Schale. Welches davon ist die wahre Form?«
    »Beide«, sagte ich. »Beide sind gleich wahr.«
    Tschapajew trank Schälchen und Glas sorgfältig leer und schleuderte eines nach dem anderen gegen die Wand. Die Gefäße zerschellten in winzige Splitter.
    »Hast du gesehen? Merk es dir. Wer wahr zu sein vorgibt, dem ist der Tod gewiß. Dem kann ich auch nicht helfen. Ich frage dich noch einmal. Da sind die Gläser, hier steht die Flasche. Welche Form ist die wahre?«
    »Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.«
    »Kleine Demonstration gefällig?«
    »Von mir aus.«
    Schwankend langte Tschapajew unter den Tisch und holte seine vernickelte Mauserpistole hervor. Ich hatte Mühe, ihm noch rechtzeitig in den Arm zu fallen.
    »Ist gut. Bitte nicht auf die Flasche schießen.«
    »Hast recht. Austrinken ist besser.«
    Er füllte die Gläser und grübelte. Jetzt war er es, dem die rechten Worte zu fehlen schienen.
    »In Wirklichkeit«, begann er, »gibt es für den Schnaps weder Schälchen noch Gläser, noch Flaschen, es gibt nur ihn selbst. Darum ist alles, was auf der Bildfläche erscheint und

Weitere Kostenlose Bücher