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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Panzerwagen stehen hatte. Einen Augenblick später stand ich neben dem Schober im Freien. An einer Seite war das Heu entfernt worden, so daß man die nietenbeschlagene Tür erkennen konnte, die nur angelehnt war.
    Das Gutshaus stand in Flammen; der Anblick war so majestätisch und berückend wie jedes große Feuer. In fünfzig Metern Entfernung, zwischen den Bäumen, gab es noch ein kleineres – da brannte das Badehaus, in dem ich vorhin mit Tschapajew gesessen hatte. Ich meinte dort Leute zu sehen; es konnten aber genausogut die bizarren Schatten der Bäume sein, die zuckten, wenn der Wind in das Feuer blies. Wen oder was immer ich da sah – daß Menschen in der Nähe waren, bewiesen die Schüsse und das wüste Gebrüll. Wäre ich nicht im Bilde gewesen, was vor sich ging, hätte ich glauben müssen, daß zwei Milizen sich ein erbittertes nächtliches Gefecht lieferten.
    Ganz in meiner Nähe raschelte es. Ich zog die Pistole.
    »Ich bin's«, sagte Anna.
    Sie war in Uniformbluse, Reithosen und Stiefeln. In der Hand hielt sie eine dieser stählernen Kurbeln, mit denen man Motoren anläßt.
    »Na, Gott sei Dank«, sagte ich. »Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich Ihre Abwesenheit beunruhigt hat. Allein der Gedanke, dieser besoffene Plebs könnte …«
    »Gehen Sie, schon wieder dieser Zwiebelgeruch«, unterbrach sie mich. »Wo ist Tschapajew?«
    »Hier«, meldete sich Tschapajew und kam unter dem Panzerwagen hervorgekrochen.
    »Warum hat es so lange gedauert?« fragte Anna. »Ich war schon ganz unruhig.«
    »Pjotr war etwas schwer von Begriff«, erwiderte er. »Es gab einen Moment, da dachte ich, wir müßten dort versauern.«
    »Und, hat er jetzt begriffen?«
    Tschapajew sah mich an.
    »Nichts hat er begriffen. Aber wie diese Ballerei losging …«
    »Na, hören Sie mal, Tschapajew«, fuhr ich auf, doch er schnitt mir mit einer herrischen Geste das Wort ab.
    »Ist alles in Ordnung?« fragte er Anna.
    »Ja.«
    Sie reichte ihm die Kurbel.
    Tschapajew hatte wieder einmal recht. Da war in der Tat nichts, wovon man hätte behaupten können, daß ich es begriffen hatte.
    Eilig räumte Tschapajew das Heu zur Seite, das den schrägen Bug des Panzerautos bedeckte, setzte die Kurbel in die Öffnung im Kühler und ließ den Zündmagneten einige Umdrehungen machen. Mit leisem, kraftvollem Tuckern sprang der Motor an.
    Anna öffnete den Verschlag und verschwand im Inneren des Wagens; Tschapajew und ich folgten ihr nach. Tschapajew schlug die Tür zu, betätigte einen Schalter, und in einem nach all der unterirdischen Finsternis geradezu grellen Licht erkannte ich die Inneneinrichtung des Fahrzeugs wieder: die schmalen, lederbezogenen Pritschen, das an die Wand geschraubte Gemälde und den Tisch, auf dem ein aufgeschlagener Band Montesquieu und eine Schachtel »Ira« lagen. Anna stieg sofort das Wendeltreppchen hinauf in den Geschützturm und nahm in dem Drehstuhl Platz, wodurch sie von der Hüfte aufwärts nicht mehr zu sehen war.
    »Ich bin soweit«, sagte sie. »Man sieht aber nichts. Das Heu!«
    Tschapajew nahm die Sprechmuschel, die den Kontakt in die Fahrerkanzel herstellte (dort saß, wie ich vermutete, der Baschkire, den seine Gefährten heimlich Batu Khan nannten), und gab Anweisung:
    »Den Schober durchstoßen. Paß bloß auf, daß du nicht mit dem Rad in die Grube rutschst.«
    Der Motor heulte auf, man spürte ein kleines Beben unter den Füßen, das schwere Gefährt ruckte an und setzte einige Meter nach vorn. Von oben kam ein ratterndes Geräusch – ich hob den Kopf und sah, daß Anna an etwas drehte, was wie die Kurbel einer Kaffeemühle aussah, wodurch der Turm mitsamt ihrem Stuhl um die eigene Achse schwenkte. »So ist es besser«, sagte sie.
    »Licht einschalten«, befahl Tschapajew in die Muschel. Ich preßte das Auge gegen den Spion in der Tür. Das Auto hatte, wie sich jetzt zeigte, rings um die Bordwand Scheinwerfer; und als sie angingen, konnte man meinen, die Festbeleuchtung eines Lustgartens wäre eingeschaltet worden.
    Dieser Lustgarten sah allerdings merkwürdig aus. Das weiße Licht, das sich über die Bäume ergoß, überstrahlte den glutroten Schein des Brandes, so daß die tanzenden Schatten, die ich für Menschen gehalten hatte, verschwunden waren und man sich plötzlich sehr allein vorkam.
    Doch hielt dieser Eindruck nicht lange vor. An den Rändern des Flutlichts tauchten nach und nach immer mehr Weber mit Gewehren auf, die, die Augen vor dem gleißenden Licht schirmend, stumm

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