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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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wieder von ihr verschwindet, eine leere Formenparade – nicht existent, solange der Schnaps sie nicht ausfüllt. Gießt du ihn in ein Schälchen, ist es die Hölle, gießt du ihn in eine Tasse, ist es der Himmel. Wir trinken ihn aus Gläsern. Das macht uns zu Menschen, Petka. Wenn du verstehst, was ich meine?«
    Draußen krachte es erneut. Man mußte nicht mehr ans Fenster treten, um den roten Feuerschein zu sehen.
    »Weil wir grad von der Hölle reden«, sagte ich, »hab ich Ihnen schon erzählt, warum die Weber immer noch Abstand zu uns wahren?«
    »Nein, warum?«
    »Weil die ernsthaft glauben, Sie hätten Ihre Seele dem Teufel verkauft.«
    »Ach ja?« fragte Tschapajew verwundert. »Ist ja interessant. Wer soll denn da der Verkäufer sein?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na, wenn es heißt, jemand hat seine Seele dem Teufel verkauft oder meinetwegen dem lieben Gott – wie hat man sich das vorzustellen? Er muß doch von seiner Ware irgendwie getrennt sein, um sie verkaufen zu können?«
    »Entschuldigen Sie, Tschapajew, meine katholische Kinderstube erlaubt es mir nicht, mit solchen Dingen zu spaßen.«
    »Verstehe«, sagte Tschapajew. »Ich weiß übrigens, woher diese Gerüchte stammen. Mich hat hier tatsächlich mal ein Mann aufgesucht, der wissen wollte, wie man seine Seele dem Teufel verhökert. Ein Stabshauptmann namens Gärtner. Kennen Sie ihn?«
    »Wir sind uns im Restaurant begegnet.«
    »Ich hab ihm erklärt, wie er es anstellen soll. Er hat das ganze Ritual sehr gründlich vollzogen.«
    »Und was geschah?«
    »Nichts Besonderes. Das Geld ist ausgeblieben, die ewige Jugend auch. Nur daß plötzlich in allen seinen Dienstausweisen anstelle des Namens Gärtner der Name Bock stand.«
    »Und wie kam das?«
    »Keiner steht doch gerne als Betrüger da. Etwas zu verkaufen, was man nicht hat, das tut man nicht.«
    »Soll das heißen, Gärtner hat keine Seele?«
    »Natürlich nicht.«
    »Und Sie?«
    Für einen Moment schien Tschapajew in sich hineinzusehen, dann schüttelte er den Kopf.
    »Und ich?«
    »Du auch nicht.«
    Die Bestürzung muß mir anzusehen gewesen sein, denn Tschapajew tätschelte mir grinsend den Ellbogen.
    »So ist das, Petka. Ich hab keine Seele, du hast keine Seele, und Stabshauptmann Gärtner hat keine Seele. Aber die Seele hat einen Gärtner, einen Tschapajew und einen Petka. Man kann nicht sagen, daß jeder eine andere Seele hat, aber genauso falsch wäre es zu behaupten, jeder hätte die gleiche. Wenn sich überhaupt etwas von ihr sagen läßt, dann nur, daß es sie auch nicht gibt.«
    »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
    »Ist auch vertrackt, Petka. Da war selbst Kotowski auf dem falschen Dampfer. Die Sache mit dem Wachs, du erinnerst dich?«
    »Ja.«
    »Daß es keine Form gibt, hatte Kotowski gemerkt. Aber daß es auch kein Wachs gibt, das wußte er nicht.«
    »Wieso gibt es kein Wachs?«
    »Weil, Petka … Paß auf, ich sag dir was: Weil das Wachs so wie der Schnaps zwar jede beliebige Form annehmen kann, selber aber auch bloß Form ist.«
    »Form wovon?«
    »Das ist die Frage. Was man von solchen Formen sagen kann, ist, daß es nichts gibt, was sie ausfüllt, verstehst du? Deshalb sind Wachs und Schnaps nicht wirklich vorhanden. Nichts ist vorhanden. Sogar weniger als nichts.«
    Mir war, als balancierte ich auf der Schwelle zu etwas Neuem – aber dann riß es mich zurück in eine dumpfe, benebelte Schwere. Ich konnte auf einmal kaum noch einen Gedanken fassen.
    »Kein Wachs vorhanden«, sagte ich. »Aber immerhin noch eine halbe Flasche Schnaps.«
    Tschapajew glotzte mit trüben Augen auf den Tisch.
    »Richtig«, sagte er. »Wenn du erst mal kapiert hast, daß es den auch nicht gibt, spendier ich dir einen von meinen Orden. Und bevor er nicht an deiner Brust steckt, rühren wir uns nicht von der Stelle, hörst du.«
    Wir tranken jeder noch ein Glas, und ich horchte nach draußen, wo die Schießerei immer weiterging. Tschapajew schien überhaupt nicht darauf zu achten.
    »Haben Sie wirklich keine Angst?« fragte ich ihn.
    »Du etwa?«
    »Ein bißchen schon«, gab ich zu.
    »Wovor?«
    »Vor dem Tod. Das heißt, nicht direkt, aber … Ich weiß nicht. Mein Bewußtsein hätte ich schon gern gerettet.«
    Tschapajew lachte und schüttelte den Kopf.
    »Hab ich was Komisches gesagt?«
    »Du bist gut. Von dir hab ich das nicht erwartet, Petka. Bist du etwa jedesmal mit solchen Flausen im Kopf Attacke geritten? Da könnte genausogut ein Fetzen Zeitung unter der Laterne liegen und sich

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