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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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herübersahen. Bald schon zog sich um uns ein lebendiger, mit Gewehrkolben gespickter Ring. Gesprächsfetzen wurden hörbar:
    »Da sind sie drin. Die entkommen uns nicht. Vielleicht sind sie schon weg? Steck die Granate weg, Blödmann, triffst noch die eignen Leute.«
    Vereinzelte Schüsse wurden abgefeuert, die Kugeln prallten sirrend von der Bordwand ab. Einer der Scheinwerfer zersprang, was die Menge mit einträchtigem, begeistertem Geheul quittierte.
    »Also«, sagte Tschapajew, »alles geht einmal zu Ende. Anna, fertig.«
    Anna zog behutsam das Futteral vom Geschütz. Dicht neben dem Türspion schlug eine weitere Kugel ein, ich rückte vorsichtshalber etwas ab, in Richtung des Treppchens. Anna stand über ihr Gerät gebeugt, preßte den Kopf gegen das Visier, das Gesicht von einer Grimasse kalter Wut verzerrt.
    »Feuer! Wasser! Erde! Kosmos! Luft!« brüllte Tschapajew.
    Anna drehte schnell an ihrem Hebel, und der Turm begann sich leise knarrend zu drehen. Das Geschütz schwieg. Bestürzt sah ich Tschapajew an, er tat eine beschwichtigende Geste. Als der Turm sich einmal um sich selbst gedreht hatte, bremste er ab.
    »Klemmt was?« fragte ich.
    »Wieso«, erwiderte Tschapajew. »Das war's schon.«
    Es war auffällig still geworden: keine Schüsse mehr, keine Stimmen. Nicht ein Ton drang mehr von draußen herein, nur das leise Brummen des Motors hatte wieder eingesetzt.
    Anna kam herunter, setzte sich neben mich und steckte sich eine Zigarette an. Ich sah, daß ihre Finger zitterten.
    »Das war das tönerne Maschinengewehr«, sagte Tschapajew. »Ich darf dir nun endlich erklären, worum es sich dabei handelt. Mit einem MG hat es eigentlich wenig zu tun. Die Sache ist die, daß vor vielen tausend Jahren, lange bevor Buddha Dipankara und Buddha Schakjamuni die Welt betraten, schon ein Buddha namens Anagama dagewesen ist. Er hat nie viel Worte gemacht, hat immer nur mit dem kleinen Finger seiner linken Hand auf die Dinge gezeigt, wodurch sich augenblicklich ihre wahre Natur offenbarte. Er zeigte auf einen Berg, und der Berg verschwand, er zeigte auf einen Fluß, und der Fluß war nicht mehr da. Es ist eine lange Geschichte – um es abzukürzen: Am Ende deutete er mit dem Finger auf sich selbst und ward nicht mehr gesehen. Übrig blieb nur dieser kleine Finger, den seine Schüler in einem Klumpen Lehm versteckten. Und das tönerne Maschinengewehr ist ebendieser Lehmklumpen mit Buddhas kleinem Finger darin. Vorzeiten lebte in Indien ein Mann, der es darauf abgesehen hatte, diesen Klumpen zur schrecklichsten Waffe auf Erden zu verwandeln. Doch kaum hatte er in den Lehm ein Loch gebohrt, zeigte der kleine Finger auf ihn, und er verschwand. Seither wurde der Finger in einer verriegelten Truhe aufbewahrt und von Ort zu Ort verschleppt, bis er schließlich in einem mongolischen Kloster landete. Durch eine Verkettung von Umständen fiel er zuletzt mir in die Hand. Ich habe ihn mit einem Stativ versehen und ihm den Namen tönernes Maschinengewehr gegeben. Soeben haben wir davon Gebrauch gemacht.«
    Tschapajew stand auf, öffnete die Tür und sprang nach draußen. Ich hörte die Absätze seiner Stiefel auf den Boden knallen. Anna kletterte ihm nach. Ich aber saß immer noch auf meiner Bank und blickte auf die englische Landschaft vor mir an der Wand: den Fluß, die Brücke, den wolkigen Himmel und die verschwommenen Ruinen. Ist es möglich? dachte ich dabei. Kann es sein?
    »Petka, willst du nicht rauskommen?« rief Tschapajew.
    Ich erhob mich. Mit einem Schritt war ich draußen.
    Wir standen auf festem, mit Heu bedecktem Boden in der Mitte eines kreisrunden Plateaus von vielleicht sieben Meter Durchmesser. Dahinter war nichts – nichts als ein ruhiges, dämmriges Licht, das schwer mit Worten zu beschreiben war. Hart am Rand des Plateaus lag die Hälfte eines Gewehrs mit aufgepflanztem Bajonett. Mir fiel sofort eine Szene aus Blocks »Schaubude« ein, und zwar die, wo der Harlekin aus dem Fenster springt, und das Fenster ist aus Papier und reißt mitsamt der darauf gemalten Ferne mittendurch, und in dem Riß erscheint ein leeres Grau. Ich blickte mich um. Der Panzerwagen stand hinter mir, sein Motor lief noch.
    »Und warum ist dieses Inselchen übriggeblieben?«
    »Es liegt im toten Winkel«, sagte Tschapajew. »Wie der Schatten vom Fuß einer Lampe. Alles, was jenseits dieser Plattform liegt, hat der kleine Finger erfaßt.«
    Ich tat einen Schritt zur Seite und wurde von Tschapajew am Arm gepackt.
    »Paß auf, wo du

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