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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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räusperte sich. »Ich möchte«, sagte er zu Professor Kanaschnikow, »auf den deutlich ausgeprägten phallischen Charakter hinweisen, daß der Patient immerzu, ahm, Schwänze sieht. Ist Ihnen das aufgefallen? Die Antenne, die Rakete, der Fernsehturm.«
    »Daß ihr Militärs immer so geradezu sein müßt«, entgegnete der Professor. »Das ist doch alles nicht so einfach. Rußland ist mit dem Verstand nicht zu begreifen, wie es so schön heißt, aber die sexuelle Neurose ist auch nicht der Punkt. Immer mit der Ruhe. Wichtig finde ich erst einmal, daß wir einen kathartischen Effekt zu verzeichnen haben, wenngleich in abgeschwächter Form.«
    »Stimmt«, sagte der Oberst, »dabei ist sogar der Stuhl zu Bruch gegangen.«
    »Genau«, sagte Kanaschnikow. »Will das blockierte pathologische Material an die Oberfläche des Bewußtseins treten, hat es einen starken Widerstand zu überwinden und erscheint daher recht häufig in Begleitung von Unfällen, Zusammenstößen und dergleichen – so wie eben. Das sicherste Anzeichen dafür, daß wir auf dem richtigen Weg sind.«
    »Vielleicht ist auch nur die Quetschung schuld?« meinte der Oberst.
    »Welche Quetschung?«
    »Hab ich Ihnen nicht erzählt, was passiert ist? Als das Weiße Haus unter Beschuß lag, sind ein paar Granaten glatt durchgegangen, durch die Fenster, müssen Sie wissen. Und eine ist ausgerechnet in die Wohnung eingeschlagen, wo zu der Zeit …«
    Der Oberst beugte sich zum Professor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Nur einzelne Satzfetzen drangen zu mir herüber:
    »Kann man verstehen … alles kurz und klein … erst bei den Leichen … wollten wir schon plombieren … gucken hin, da rührt sich was … ernstliche Erschütterung, natürlich.«
    »Mein Lieber, und da sitzen Sie die ganze Zeit da und sagen nichts? Das ändert das Bild doch gewaltig«, sagte Kanaschnikow vorwurfsvoll. »Lassen mich hier machen und reden …«
    Jetzt beugte er sich zu mir herüber, zog mir mit zwei dicken Fingern ein Lid nach oben und spähte in mein Auge.
    »Und Sie?«
    »Ich weiß nicht recht«, gab ich zur Antwort, »die spannendste Mär in meinem Leben war das nicht gerade. Aber, wie soll ich sagen. Ich finde es amüsant, mit welch traumhafter Leichtigkeit sich dieser Wahn für ein paar Minuten Zutritt zur Realität verschafft hat.«
    »Allerhand, nicht wahr?« meinte der Professor, während er sich nach dem Oberst umdrehte.
    Der nickte schweigend.
    »Ich wollte eigentlich gar nicht Ihre Meinung hören, lieber Freund, sondern bloß wissen, wie es Ihnen geht«, sagte Kanaschnikow.
    »Danke, mir geht es ganz gut«, erwiderte ich. »Ich bin bloß ein bißchen müde.«
    Das war nicht gelogen.
    »Dann schlafen Sie doch.«
    Und er drehte mir den Rücken zu.
    »Morgen früh«, sagte er zu der unsichtbaren Schwester, »setzen Sie Pjotr bitteschön vier Kubik Taurepam, direkt vor der Wasserbehandlung.«
    »Kann man nicht das Radio anstellen?« fragte die leise Stimme aus der Ecke.
    Der Professor drehte an einem Schalter an der Wand, nahm den Offizier beim Arm und ging mit ihm zur Tür. Ich schloß die Augen und wußte im selben Moment, daß ich sie so bald nicht mehr aufbekommen würde.
    Unterdessen hatte eine traurige Männerstimme zu singen begonnen:
    »Nur manchmal denk ich mir, daß die Soldaten,
die nimmer kehrten heim aus blut'ger Schlacht,
ein Grab in schwarzer Erde sich verbaten –
als weiße Kraniche flohn sie die Nacht.«
    Kaum waren die letzten Worte aus dem Lautsprecher verklungen, als im Saal ein Handgemenge auszubrechen schien.
    »Serdjuk festhalten!« brüllte eine Stimme direkt über meinem Ohr. »Kraniche! Wer hat das eingestellt? Habt ihr's vergessen oder was?«
    »Du hast doch verlangt, daß sie das Radio anmachen«, entgegnete eine andere Stimme. »Wir schalten gleich um.«
    Es klickte wieder.
    »Sind endlich die Zeiten vorbei«, fragte eine einschmeichelnde Stimme von der Decke herab, »da die russische Popmusik als Synonym für Provinzialität herhalten mußte? Urteilen Sie selbst. ›Blinddarmentzündung‹ ist eine reine Frauenband, wie es sie in Rußland selten gibt. Ihr vollständiges Bühnenequipment wiegt soviel wie ein T-90-Panzer. Außerdem sind alle Bandmitglieder lesbisch. Von diesen ultramodernen Eigenschaften einmal abgesehen, spielt ›Blinddarmentzündung‹ im Grunde klassische Musik – wenn auch in durchaus eigener Interpretation. Hören Sie im folgenden, was die Mädels aus einer Melodie des österreichischen Komponisten Mozart gemacht haben,

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