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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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seltsames Gefühl beschlich, etwas wie ein Déjà-vu – so als wäre mir dieser metallene Körper erst vor kurzem im Traum begegnet. Ich nahm das Kruzifix von der Wand, zog die Mauser aus der Tasche und trat auf Zehenspitzen hinaus in den Korridor. Mein Gedankengang war ungefähr folgender: Wenn man schon davon ausgeht, daß ein Toter Klavier spielen kann, so darf man wenigstens annehmen, daß er das Kreuz fürchtet.
    Die Tür des Zimmers, in dem der Flügel stand, war angelehnt. Ich näherte mich ihr, wobei ich so leise wie möglich aufzutreten versuchte, und spähte hinein. Lediglich die Kante des Flügels war zu sehen. Ich atmete ein paarmal tief durch, stieß mit dem Fuß gegen die Tür, daß sie weit aufsprang, und tat einen Schritt in das Zimmer – das schwere Kreuz fest in der einen, die schußbereite Waffe in der anderen Hand. Als erstes sah ich Grigori von Ernens Stiefel aus der Ecke ragen; friedlich ruhte er unter seinem grauen, englischen Leichentuch.
    Ich wandte mich zum Flügel um.
    Dahinter saß der Mann in der schwarzen Bluse, dem ich tags zuvor im Restaurant begegnet war. Dem Anschein nach um die Fünfzig; geschwungener, buschiger Schnurrbart, angegraute Schläfen. Man konnte den Eindruck haben, daß er mein Erscheinen gar nicht bemerkt hatte – mit geschlossenen Augen, ganz in die Musik vertieft, saß er da. Sein Spiel war allerdings vorzüglich. Auf dem Deckel des Flügels sah ich eine Pelzmütze aus feinstem Karakullammfell mit rotem Moireband und einen bizarr geformten Säbel in prächtiger Scheide liegen.
    »Guten Morgen«, sagte ich und ließ die Mauser sinken.
    Der Mann hinter den Tasten hob die Lider und maß mich mit einem forschenden Blick. Seine Augen waren schwarz und stechend, ihrem beinahe physischen Druck standzuhalten bereitete mir einige Mühe. Als er das Kreuz in meiner Hand sah, huschte ein Lächeln über seine Lippen.
    »Guten Morgen«, sagte er, ohne sein Spiel zu unterbrechen. »Freut mich zu sehen, daß Sie schon frühmorgens ans Seelenheil denken.«
    »Was tun Sie hier?« fragte ich und legte das Kruzifix behutsam neben dem Säbel ab.
    »Ich versuche mich«, sagte er, »an einem recht schwierigen Stück. Leider ist es für vier Hände geschrieben, und gleich kommt eine Stelle, mit der ich allein nicht zu Rande komme. Würden Sie so freundlich sein, mir zu helfen? Das Stück dürfte Ihnen ja bekannt sein.«
    Wie in einer Art Trance steckte ich die Pistole weg, stellte mich neben ihn hin und griff, den Moment abpassend, in die Tasten. Mein Kontrapunkt hechelte dem Thema hinterher, ich verspielte mich mehrfach; dann fiel mein Blick wieder auf Grigori von Ernens gegrätschte Beine, und die ganze Absurdität der Situation wurde mir gewahr. Ich taumelte zur Seite und starrte meinen Besucher an. Der hörte zu spielen auf und saß einige Zeit reglos, wie in Gedanken versunken, da. Dann lächelte er, streckte die Hand aus und ergriff das auf dem Instrument liegende Kruzifix.
    »Furchtbar«, sagte er. »Ich habe nie verstanden, warum Gott uns Menschen ausgerechnet in einem häßlichen Menschenkörper erscheinen mußte. Um wieviel angemessener wäre, sagen wir, eine vollkommene Melodie – eine, die man wieder und wieder hören möchte.«
    »Wer sind Sie?« fragte ich.
    »Ich heiße Tschapajew«, sagte der Fremde.
    »Der Name sagt mir nichts«, erwiderte ich.
    »Weshalb ich ihn auch benutze«, sagte er. »Für meine Freunde bin ich Wassili Iwanowitsch. Aber das wird Ihnen vermutlich genauso wenig sagen.«
    Er stand auf und reckte sich; dabei knackten seine Gelenke vernehmlich. Der dezente Duft eines teuren englischen Eau de Cologne wehte mir entgegen.
    »Sie haben gestern in der ›Spieldose‹ Ihr Köfferchen vergessen«, sagte er, und seine schwarzen Augen schienen mich zu durchbohren. »Da ist es.«
    Ich blickte zu Boden und sah neben einem Fuß des Flügels Grigoris schwarzes Hebammenköfferchen stehen.
    »Ich danke Ihnen«, sagte ich. »Wie sind Sie eigentlich hier hereingekommen?«
    »Ich hatte zu läuten versucht«, sagte er, »aber die Klingel funktioniert wohl nicht. Und die Schlüssel steckten. Ich sah, daß Sie schliefen, und beschloß zu warten.«
    »Aha«, sagte ich.
    In Wirklichkeit verstand ich gar nichts. Wie hatte er erfahren, wo ich zu finden war? Zu wem war er überhaupt gekommen – zu mir oder zu Grigori von Ernen? Wer war er, was wollte er? Und wieso – diese Frage quälte mich am allermeisten – wieso spielte er diese verdammte Fuge? Ahnte er etwas? (Um die

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