Buddhas kleiner Finger
der vielen unserer Hörer aus dem Forman-Film bekannt sein dürfte wie übrigens auch von dem gleichnamigen österreichischen Likör, den unser Sponsor, die Firma ›Das dritte Auge‹, in Rußland vertreibt.«
Eine schauerliche Musik hob an, wie Sturmgeheul im Zuchthausschornstein. Glücklicherweise war ich schon im Versinken. Anfangs plagten mich noch schwermütige Gedanken in bezug auf das, was mir hier geschah; dann aber erfaßte mich ein kurzer Alptraum, in dem die Geschichte von dem Amerikaner mit der Sonnenbrille, die das arme Ding erzählt hatte, sozusagen weiterging.
Der Amerikaner brachte seinen Flieger auf dem Hof zur Landung, übergoß ihn mit Kerosin, das er Gott weiß woher nahm, und zündete ihn an. Ins Feuer flogen der himbeerrote Sakko, die dunkle Brille und die kanarienvogelgelben Hosen, so daß der Amerikaner zum Schluß in knapper Badehose dastand. Er ließ seine prächtig aufgebauten Muskeln spielen und suchte im Gebüsch längere Zeit nach etwas, das er nicht fand. Dann fehlte ein Stück in meinem Traum, und als ich den Amerikaner wiedersah, war er, ehrlich gesagt, schwanger. Die Begegnung mit Maria schien nicht ohne Folgen für ihn abgegangen zu sein. Doch hatte er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in eine furchteinflößende Metallfigur mit schematischen Gesichtszügen verwandelt, von deren geblähtem Bauch gnadenlos das Sonnenlicht blitzte.
3
Die an mein Ohr dringende Melodie schien zunächst die Treppe heraufzukommen, dann kurz auf der Stelle zu treten, um sich schließlich verzweifelt in den Treppenschacht zu stürzen – auf einmal nahm man die kurzen Momente von Stille zwischen den einzelnen Tönen wahr. Doch die Finger des Pianisten fingen die Melodie ein, setzten sie wieder auf die Stufen, und alles begann von vorn, nur einen Absatz tiefer. Der Ort, an dem dies geschah, erinnerte an das Treppenhaus auf dem Twerskoi Nummer acht, nur nahm die Treppe im Traum, nach oben wie nach unten, kein Ende. Ich verstand plötzlich, daß jedwede Melodie ihren genauen Sinn hat. Die gerade zu hören war, demonstrierte die metaphysische Unmöglichkeit des Selbstmords – nicht seine Verwerflichkeit, sondern seine Unmöglichkeit. Und außerdem wollte es mir in diesem Moment scheinen, als wären wir alle nur Töne, die einem unbekannten Pianisten unter den Fingern entgleiten, nichts als kleine Terzen, schwebende Sexten, dissonante Septimen in einer grandiosen Sinfonie, die ganz zu hören keinem von uns beschieden ist. Der Gedanke betrübte mich zutiefst; mit Trauer im Herzen tauchte ich aus den bleiernen Tiefen des Traums.
Einige Sekunden brauchte ich, um herauszubekommen, wo ich eigentlich war und was in jener seltsamen Welt vor sich ging, in die mich nun schon sechsundzwanzig Jahre lang allmorgendlich eine geheimnisvolle Kraft hinauskatapultierte. Ich trug eine schwere Jacke aus schwarzem Leder, Reithosen und Stiefel. Etwas drückte mir schmerzhaft in den Oberschenkel. Ich drehte mich auf die Seite und ertastete unter dem Bein die hölzerne Schatulle, in der die Mauserpistole steckte; ich sah mich um. Über mir wölbte sich ein Seidenbaldachin mit gelben Quasten von erlesener Schönheit. Der Himmel draußen vor dem Fenster war wolkenlos blau, und blaßrot schimmerten die Dächer in der kalten Wintersonne. Auf der anderen Seite des Boulevards, genau gegenüber meinem Fenster, war eine blechverkleidete Kuppel zu sehen, die mir im nächsten Moment wie der Bauch einer riesigen, Metall gewordenen Kreißenden erschien.
Plötzlich merkte ich, daß ich die Musik nicht geträumt hatte – sie kam von hinter der Wand. Ich überlegte, wie ich in diesen Raum geraten war, und da traf es mich wie ein elektrischer Schlag: Mir fiel ein, was gestern gewesen war und daß ich mich in Grigori von Ernens Wohnung befand. Ich sprang vom Bett, fegte zur Tür – und stoppte.
Nebenan, in dem Zimmer, wo Grigori von Ernen lag, spielte jemand Klavier, und zwar genau jene Mozart-Fuge in f-Moll, zu der mich den Abend zuvor das Kokain und die Melancholie inspiriert hatten. Mir wurde buchstäblich schwarz vor Augen – ich stellte mir einen Leichnam vor, über den ein Mantel geworfen war, und die Leichenfinger kamen hervor und griffen hölzern in die Tasten; ich begriff, daß der gestrige Alptraum noch nicht zu Ende war. Die Bestürzung, die mich erfaßte, ist schwer zu beschreiben. Ich blickte mich im Zimmer um, sah das große, hölzerne Kruzifix mit dem Leib Christi aus edlem Silber an der Wand, bei dessen Anblick mich ein
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