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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Drachens oder eines Riesenvogels am Himmel flog – und jetzt geschah ihr ebendies wahrhaftig. Nun ja, vielleicht nicht ganz. Aber, so dachte sie, während sie die Hand an den stählernen Antennenknauf legte, Träume werden immer anders wahr, als man denkt.
    Das Flugzeug legte sich ein wenig auf die Seite, und Maria schien es deutlich so, als hätte die Berührung der Antenne damit zu tun gehabt. Überhaupt bewegte sich das Flugzeug auf verblüffende, irgendwie menschliche Weise – und die Antenne schien der empfindlichste Teil an ihm zu sein. Maria führte die Hand den Stahlbolzen entlang und preßte den oberen Teil in ihrer Faust. Die »Harrier« schaukelte nervös mit den Flügeln und gewann noch einige Meter an Höhe. Wie ein ans Bett gefesselter Mann! dachte Maria. Einer, der sie nicht in die Arme schließen durfte, der nichts weiter tun konnte, als sich aufzubäumen. Der Eindruck verstärkte sich noch dadurch, daß sie direkt hinter den Tragflächen saß, die wie gespreizte Beine auf sie wirkten, unglaublich muskulös, doch bewegungsunfähig.
    Das war witzig, doch zu spitzfindig für ihren Geschmack. Maria hätte anstelle des stählernen Riesenvogels lieber ein ganz gewöhnliches Klappbett bei den Garagen vorgefunden. Doch mit Schwarzenegger, überlegte sie, war es anders wohl nicht denkbar. Sie schaute zur Kanzel. Man sah nicht viel, in der Scheibe spiegelte sich das Sonnenlicht. Anscheinend saß er in seinem Sessel und drehte den Kopf im Einklang mit den Bewegungen seiner Hände – mal ein wenig nach rechts und mal ein wenig nach links.
    Der Roboter neulich im Kino, dachte Maria und legte auch die andere Hand an die Antenne, dieser Metallmann, der seine Form ändern konnte, wie er wollte – was der wohl für einen hatte? Wahrscheinlich je nachdem?
    Derweil stieg das Flugzeug immer noch höher. Die Dächer der Häuser lagen weit, weit unten, Moskaus prachtvolles Panorama bot sich Marias Augen dar.
    Überall glänzten Kirchenkuppeln, die Stadt wirkte wie eine große, dicht an dicht mit sinnlosen Nieten besetzte Motorradjacke. Die Rauchfahne über Moskau war kleiner, als sie geglaubt hatte, während sie die Promenade entlangging. Nur hie und da wölkte Dunst über den Häusern, wobei nicht immer klar war, ob es dort brannte, ob Fabrikschlote Rauch spuckten oder bloß die Wolken so tief hingen.
    Sah man von der Häßlichkeit jedes einzelnen Bestandteils ab, war der Anblick der Stadt außerordentlich schön, wobei der Ursprung von soviel Schönheit unbegreiflich war. So geht es einem mit Rußland! dachte Maria, während ihre Hände den kühlen Stahl entlangglitten. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Und schaut man sich näher an, was einen zum Jauchzen bringt, dann könnte einem auch davon speiübel werden.
    Auf einmal ruckte das Flugzeug unter ihr, und sie spürte, daß der Bolzen in ihren Händen seltsam zu rütteln begann. Sie zog die Hände zurück, worauf der Metallknauf mit den Löchern von der Antenne absprang, auf den Rumpf hinab und gleich darauf in die Tiefe fiel; von der gewesenen Herrlichkeit blieb nichts als ein kurzes Rohr mit Gewinde am Ende, aus dem zwei verzwirbelte, abgerissene Drähte hervorschauten, einer rot, der andere blau.
    Maria sah zur Kanzel. Hinter der Scheibe war Schwarzeneggers unbewegter weißblonder Nacken zu sehen. Zunächst meinte Maria, er hätte gar nichts mitbekommen. Dann kam ihr der Gedanke, er könnte in Ohnmacht gefallen sein. Als sie konsterniert in die Runde blickte und bemerkte, daß der Bug des Flugzeugs sachte und wie unschlüssig wegzukippen begann, wurde die Vermutung zur Gewißheit. Beinahe ohne zu überlegen, wälzte sie sich von ihrem Platz auf dem Rumpf auf die Plattform zwischen den Tragflächen hinunter (dabei riß ihr der Antennenstumpf ein Dreiangel in die Jacke) und kroch zur Kanzel.
    Die Luke war offen. Maria stemmte sich ein wenig von der Tragfläche ab, auf der sie lag, und brüllte:
    »Arnie! Arnie!«
    Es kam keine Antwort. Zaghaft erhob sie sich auf alle viere und sah Schwarzeneggers Nacken nebst einer im Wind flatternden Strähne.
    »Arnie!« rief sie noch einmal.
    Schwarzenegger drehte den Kopf zu ihr herum.
    »Na Gott sei Dank!« brach es aus Maria hervor.
    Schwarzenegger nahm die Brille ab.
    Sein linkes Auge war etwas zugekniffen und drückte ein sehr deutlich gegliedertes, wenngleich ungemein kompliziertes Spektrum an Gefühlen aus, worin, streng proportioniert und gut durchmischt, alles seinen Platz hatte: Lebenslust, Stärke, eine gesunde

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