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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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befahl:
    »Zum Bahnhof.«
    Sanft setzte sich der Panzerwagen in Bewegung – man bekam es im Inneren kaum mit. Tschapajew ließ sich auf einer der Bänke nieder, mit einer Handbewegung lud er mich ein, gegenüber Platz zu nehmen.
    »Ein phänomenales Fahrzeug«, sagte ich und meinte es durchaus ehrlich.
    »Ja«, sagte Tschapajew, »der Wagen ist ganz ordentlich.
    Wobei ich die moderne Technik eigentlich nicht mag. Wenn Sie erst mein Pferd gesehen haben …«
    Er langte unter den Tisch und holte ein zusammengeklapptes Spielbrett hervor.
    »Wie wär's mit einer Partie Tricktrack?« fragte er.
    Ich zuckte mit den Achseln. Er klappte das Brett auf und legte die schwarzen und weißen Steine aus.
    »Genosse Tschapajew«, begann ich, »worin besteht meine Arbeit genau? Um welche Fragen wird es gehen?«
    Mit einer gemessenen Bewegung glättete Tschapajew seinen Schnurrbart.
    »Wissen Sie, Pjotr, unsere Division ist ein komplizierter Organismus. Ich nehme an, Sie werden nach und nach in den Alltag hineinfinden und Ihren Platz, wie man so sagt, selbst ausmachen. Es wäre verfrüht, darüber zu reden, wo genau er sein wird. Ihr gestriger Auftritt hat mir aber gezeigt, daß Sie ein tatkräftiger Mann sind, noch dazu mit einem Gespür für das Wesentliche. Solche Leute haben wir nötig. Sie sind am Zug.«
    Während ich die Steine auf das Brett warf, überlegte ich, wie ich mich verhalten sollte. Daß er tatsächlich ein Kommandeur der Roten war, schien mir kaum glaubhaft – aus irgendeinem Grunde meinte ich zu wissen, daß er das gleiche wahnwitzige Spiel spielte wie ich, nur mit mehr Erfahrung und darum virtuoser und wohl gar nach eigenem Gutdünken. Andererseits gründeten meine Vermutungen ausschließlich auf seiner intelligenten Art zu reden und der hypnotischen Kraft seiner Augen, was für sich genommen nichts bedeuten mochte. Auch der arme Grigori zum Beispiel war außerordentlich intelligent gewesen, und Dsershinski, der Häuptling der Tscheka, galt in okkulten Kreisen als begabter Hypnotiseur. Eigentlich, so dachte ich, war schon die Frage falsch gestellt: Kein einziger der roten Kommandeure war im Grunde ein roter Kommandeur. Jeder von ihnen mühte sich nach Kräften, einem gewissen infernalischen Maß zu genügen und sich so zu geben, wie ich es tags zuvor getan hatte, nur skrupelloser. Was Tschapajew anging, so konnte ich die Person, die sein militärischer Aufzug vorstellte, nicht ganz ernst nehmen. Andere taten es augenscheinlich – Babajasins Order zeigte dies ebenso wie der Panzerwagen, in dem wir saßen. Mir war nicht klar, was er von mir wollte, doch beschloß ich fürs erste, mich an die von ihm vorgeschlagenen Spielregeln zu halten; ohnehin hegte ich zu ihm ein instinktives Vertrauen. Ich weiß nicht, wie es kam, doch wähnte ich diesen Menschen ein paar Stockwerke über mir in dem unendlichen Treppenschacht unseres Daseins, den ich am Morgen im Traum gesehen hatte.
    »Bedrückt Sie etwas?« fragte Tschapajew, während er die Steine über das Brett flitzen ließ. »Irgendein Gedanke, der Sie quält?«
    »Das ist vorbei«, erwiderte ich. »Aber sagen Sie, ist Babajasin der Entschluß leichtgefallen, mich an Sie abzutreten?«
    »Nein, Babajasin war nicht dafür«, sagte Tschapajew. »Dafür schätzt er Sie zu sehr. Ich mußte die Sache mit Dsershinski regeln.«
    »Heißt das«, fragte ich, »daß Sie persönlich miteinander bekannt sind?«
    »Ja.«
    »Na, so was! Dann kennen Sie womöglich auch Lenin, Genosse Tschapajew?« fragte ich mit leichter Ironie.
    »Flüchtig«, erwiderte er.
    »Das möcht ich sehen.«
    »Warum nicht. Wenn Sie wollen, sofort.«
    Das war ein starkes Stück. Verdutzt blickte ich ihn an, doch er blieb ernst. Seelenruhig schob er das Spielbrett beiseite, zog den Säbel aus der Scheide und legte ihn auf den Tisch.
    Dieser Säbel hatte, so muß man sagen, manches Merkwürdige an sich. Sein langer, silberner Griff war reich ziseliert: ein Kreis mit einem hockenden Hasen, zwei Vögel links und rechts, der Raum dazwischen mit feinstem Ornament gefüllt. Der Griff endete in einem Knauf aus Jade, an den eine geknüpfte Seidenschnur geknotet war, kurz und dick, mit lila Quaste. Hinter dem Griff folgte ein rundes, schmiedeeisernes Stichblatt; die blitzende Klinge war lang und leicht gekrümmt – kurz, es war im Grunde gar kein Säbel, sondern eines dieser fernöstlichen Schwerter, vermutlich ein chinesisches. Ich kam jedoch nicht dazu, die Waffe noch eingehender zu betrachten, denn Tschapajew

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