Buddhas kleiner Finger
letztens darüber nachgedacht. Aber das führt vom Thema weg. Was wollte ich sagen: Suki« (ich nahm das Wort genüßlich noch einmal in den Mund) »wenn es heißt, alle Weiber sind Suki, also meinetwegen Schlampen oder so, dann heißt das im Grunde, das Leben ist ein Traum, und Ihren Flieder, den träumen wir mit. Und dazu die ganzen Suki-Schlampen.« (ich ließ das »s« richtig schön zischen) »… dazu. Also die Weiber, meine ich.«
Anna zog an ihrer Zigarette. Die Haut über ihren Wangenknochen rötete sich ein wenig, und ich fand, dies stand ihrem blassen Gesicht außerordentlich gut.
»Ich überlege gerade«, sagte sie, »ob ich Ihnen den Champagner in die Fresse kippen soll.«
»Ich weiß nicht recht«, erwiderte ich. »So intim sind wir nun auch wieder nicht miteinander.«
Im nächsten Augenblick schlug mir ein Fächer aus kristallklaren Tropfen ins Gesicht – ihr Glas war fast voll gewesen, und sie hatte es so heftig ausgekippt, daß ich für kurze Zeit blind war.
»Entschuldigen Sie«, sagte Anna bestürzt, »aber Sie haben es selbst …«
»Schon gut«, sagte ich.
Champagner hat eine Eigenschaft, die einem nützlich werden kann: Ergreift man die Flasche, stopft den Daumen in den Hals und schüttelt einige Male kräftig, so spritzt beinahe aller Inhalt als schäumender Strahl unterm Finger hervor. Ich meine, diese Verfahrensweise muß schon zu Lermontows Zeiten im Schwange gewesen sein; es gibt von ihm eine Gedichtzeile, die sehr darauf schließen läßt, daß er persönlich mit ihr Bekanntschaft machte:
»… so wie die moosbedeckte Flasche all die Jahre
den Strahl schäumenden Weins in sich gefangenhält …«
Natürlich ist es schwer, Vermutungen über das Innenleben eines Mannes anzustellen, der beschlossen hat, dem Bösen ins Auge zu blicken, und dann doch nur ein Poem über einen fliegenden Husarenoberst zuwege bringt. Darum will ich nicht beschwören, Lermontow hätte Frauen mit Champagner bespritzt, aber für wahrscheinlich halte ich es durchaus – eingedenk seiner ständigen Besorgnis in geschlechtlichen Fragen einerseits, jener unanständigen, doch ganz und gar nicht zu bezähmenden Assoziationen andererseits, die einen bei dieser Verrichtung, so sie auf eine schöne junge Frau abzielt, einfach überkommen. Ich muß zugeben, daß ich ihnen vollends erlag.
Der größte Teil des Champagners landete auf Annas Rock und Jacke. Ich hatte auf das Gesicht gezielt, den Strahl jedoch in einem seltsamen Anflug von Befangenheit im letzten Moment tiefer gelenkt.
Anna sah zu, wie sich ihre Jacke vor der Brust dunkel färbte.
»Sie sind ein Idiot«, sagte sie ruhig. »Ihr Platz ist im Irrenhaus.«
»Das finden nicht nur Sie«, sagte ich und stellte die leere Flasche auf den Tisch zurück.
Beklemmende Stille trat ein. Sich in weiteren Wortwechseln zur Klärung unseres Verhältnisses zu ergehen schien wenig sinnvoll; einander schweigend gegenüberzusitzen war noch dümmer. Ich denke, Anna empfand ähnliches. Vermutlich wußte in diesem Restaurant nur die fette, schwarze Fliege, die unablässig gegen die staubige Fensterscheibe Sturm flog, was weiter zu tun war. Die Situation rettete einer der beiden Offiziere, die am Nachbartisch saßen (ihre Existenz war mir zu diesem Zeitpunkt vollkommen entfallen, obgleich auch sie wohl – in anderer Hinsicht – zu jenen gehörten, die nicht weiterwußten); es war der, der sich die Spritze gesetzt hatte.
»Gnädiger Herr«, hörte ich ihn mit pathetischer Stimme sagen, »gnädiger Herr, gestatten Sie eine Frage?«
»Aber bitte.«
Er hielt ein aufgeklapptes schwarzes Portemonnaie in den Händen und schaute beim Sprechen hinein, als steckte ein Spickzettel darin.
»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Stabshauptmann Gärtner. Es ergab sich, daß ich einen Teil Ihres Gespräches mit angehört habe. Selbstredend ganz ohne Absicht. Sie haben einfach laut gesprochen.«
»Ja, und?«
»Sind Sie wirklich der Meinung, daß die Frauen allesamt nur geträumt sind?«
»Wissen Sie«, sagte ich und versuchte mich so höflich wie möglich auszudrücken, »das ist ein sehr kompliziertes Thema. Sagen wir es kurz: Wenn Sie der Meinung sind, daß die ganze Welt ein Traum ist, so besteht kein Anlaß, die Frauen vermittels einer besonderen Kategorisierung davon auszunehmen.«
»Also doch. Nur geträumt«, sagte der Stabshauptmann niedergeschlagen. »Das dachte ich mir. Hier hab ich ein Foto. Sehen Sie.«
Er reichte mir eine Fotografie. Abgebildet war ein Mädchen mit
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