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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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vorgespannt waren – offenbar Kotowskis Gefährt. Ich bog um die Ecke und lief die Straße bergan, die ich vorhin mit Anna herabgekommen war.
    Es war etwa drei Uhr nachmittags und unerträglich heiß. Ich dachte darüber nach, wieviel sich seit meinem Erwachen verändert hatte – von meiner gelassenen, friedfertigen Stimmung war nichts geblieben. Das Unangenehmste aber war, daß Kotowskis Pferde mir nicht aus dem Kopf gehen wollten. Lächerlich genug, daß solch eine Nebensächlichkeit derart deprimierend auf mich wirkte. Ich wollte mein seelisches Gleichgewicht zurückgewinnen und vermochte es nicht. Tatsächlich war ich abgrundtief verletzt.
    Was natürlich nicht an Kotowski und seinen Pferden lag. Es lag an Anna, an ihrer unbeschreiblichen, unfaßbaren Schönheit, die mich im ersten Moment verleitet hatte, mir eine tief und sensibel empfindende Seele dazuzudenken. Der bloße Gedanke, daß irgendwelche Rassepferde ihren Besitzer in Annas Augen hätten attraktiv machen können, schien unmöglich. Und doch sah es ganz danach aus. Wie komme ich überhaupt darauf, fragte ich mich jetzt, daß es eine Frau nach anderem gelüstete? Wonach, bitteschön? Geistigen Werten womöglich?
    Ich brach in lautes Lachen aus, so daß zwei vor mir auf der Bordsteinkante spazierende Hühner aufflatterten.
    Das ist ja interessant, dachte ich weiter. Wenn ich mich nicht selbst belügen wollte, mußte ich einsehen: Es war so. Ich meinte tatsächlich, daß etwas an mir war, was diese Frau anziehender finden und unvergleichlich höher schätzen mußte als jeden Pferdebesitzer. Dabei barg schon der Vergleich eine böse Geschmacklosigkeit – indem ich ihn zuließ, setzte ich die Qualitäten, um derentwillen ich von ihr hochgeschätzt zu werden wünschte, selbst auf das Niveau eines Pferdegespanns herab. Wenn dies für mich vergleichbare Dinge waren – wie konnte ich von ihr erwarten, daß sie Unterschiede machte? Und weiter: Was war es überhaupt, was mich in ihren Augen erheben sollte? Meine Innenwelt? Das, was ich dachte und fühlte? Plötzlich war ich mir selbst so sehr zuwider, daß ich aufstöhnte. Schluß mit dem Selbstbetrug! dachte ich. Plagte mich nicht schon genügend Jahre hauptsächlich das Problem, wie ich all diesen Gedanken und Gefühlen entkommen und meine sogenannte Innenwelt auf irgendeiner Müllhalde zurücklassen konnte? Und selbst wenn man diesem Seelenzauber irgendeinen Wert zugestanden hätte – sagen wir, einen rein ästhetischen –, es änderte nichts. Denn alles Edle, was im Menschen sein kann, bleibt anderen verborgen – im Grunde ja auch dem, der es in sich trägt. Wer könnte denn in sich hineinsehen und sagen: Da! da ist es, da war es, da wird es sein? Wer hätte darüber verfügen können, behaupten, es gehöre ihm? Wie konnte ich mithin den Vergleich wagen zwischen Kotowskis Trabern und etwas, das zu mir in keiner Beziehung steht, außer daß ich es in den besten Momenten meines Lebens vor mir gesehen habe? Und durfte ich es Anna vorwerfen, daß sie in mir nicht das sehen wollte, was ich dort selbst schon lange nicht mehr sah? Zu töricht. In jenen seltenen Momenten, da ich vielleicht auf den Kern stieß, wußte ich jedesmal, daß es nie und nimmer möglich sein würde, dem eine bleibende Form zu geben. Gut, es mag vorkommen, daß einer draußen die Sonne untergehen sieht und einen Satz dazu sagt, der es in sich hat. Was ich in Betrachtung von Sonnenauf- und -untergängen daherredete, reizte mich schon lange bis zur Weißglut. Nein, meine Seele ist wirklich nicht sonderlich schön, dachte ich. Es war umgekehrt: In Anna suchte ich nach dem, was in mir selber nie gewesen war. Wenn ich sie sah, blieb nichts weiter von mir übrig als eine saugende Leere, die allein ihre Anwesenheit zu füllen vermochte, ihre Stimme, ihr Antlitz.
    Was also konnte ich ihr bieten, anstelle einer Ausfahrt mit Kotowski und seinem Gespann? Mich selbst? Meine Hoffnung, in ihrer Nähe Antwort auf eine der verschwommenen, dunklen Fragen zu finden, die meine Seele quälten? Absurd. Besser wäre ich in Kotowskis Kutsche mitgefahren.
    Ich blieb stehen und setzte mich auf einen verschlissenen Kilometerstein am Straßenrand. Es war unglaublich heiß. Ich fühlte mich mutlos und zerschlagen, konnte mich nicht entsinnen, je eine so große Abneigung gegen mich selbst empfunden zu haben. Der säuerliche Champagnergeruch, der meiner Mütze entströmte, schien mir in diesem Moment ein Aushängeschild meines Geistes zu sein. Um mich her war

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