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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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geschlossen. Ganze Nächte haben Sie miteinander geredet. Ja, und dann kam die Verwundung dazwischen.«
    »Worüber haben wir denn die ganze Zeit geredet?«
    Anna blies einen dünnen Rauchstrahl gegen die Decke.
    »Warum wollen Sie nicht warten, bis er kommt? Ich habe eine ungefähre Ahnung vom Inhalt Ihrer Gespräche, möchte mich aber ungern in Details verlieren. Es geht nur Sie beide etwas an.«
    »Wenigstens in groben Zügen, Anna.«
    »Tschapajew ist einer der ausgemachtesten Mystiker, die ich kenne. In Ihrer Person fand er einen dankbaren Zuhörer, nehme ich an, vielleicht auch einen Schüler. Darüber hinaus vermute ich, das Ihnen zugestoßene Unglück könnte irgendwie mit Ihren Gesprächen zu tun haben.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Kein Wunder«, sagte Anna. »Er hat ein paarmal mit mir zu reden versucht, und ich habe auch nichts begriffen. Was ich sicher weiß, ist, daß er einen arglosen Gesprächspartner binnen weniger Stunden in den Wahnsinn zu treiben versteht. Mein Onkel ist ein sehr ungewöhnlicher Mensch.«
    »Er ist Ihr Onkel, soso«, sagte ich. »Und ich dachte schon, es bestünden zwischen Ihnen ganz andere Bande.«
    »Wie können Sie … Hach, denken Sie von mir aus, was Sie wollen.«
    »Bitte verzeihen Sie mir«, sagte ich. »Dem, was Sie über den verwundeten Kavalleristen sagten, glaubte ich entnehmen zu dürfen, Sie wären an gesunden Kavalleristen interessiert.«
    »Noch so eine flegelhafte Bemerkung, und ich verliere jedes Interesse an Ihnen, Pjotr.«
    »Da ist also immerhin eines. Das tröstet mich.«
    »Sie sollten sich nicht an einzelne Worte klammern.«
    »Wenn sie mir zusagen, warum nicht?«
    »Rein zum Selbstschutz. Während Sie bewußtlos im Bett lagen, haben Sie kräftig zugenommen, es könnte also sein, daß meine Worte Ihr Gewicht nicht aushalten.«
    Sie wußte sich zu verteidigen, soviel war klar. Doch ich fand, daß sie gerade ein wenig übertrieb.
    »Liebe Anna«, sagte ich, »ich verstehe nicht, wieso Ihnen so viel daran liegt, mich zu kränken. Sie verstellen sich, davon bin ich felsenfest überzeugt. In Wahrheit bin ich Ihnen nicht gleichgültig – das wußte ich sofort, als ich zu mir kam und Sie an meinem Bett sitzen sah. Und Sie können sich nicht vorstellen, wie ergriffen ich davon war.«
    »Ich fürchte, Sie werden enttäuscht sein, wenn ich Ihnen sage, warum ich dort saß.«
    »Ach so? Was könnte es für Gründe haben, am Bett eines Verwundeten Wache zu halten, außer echter, na, sagen wir, Fürsorge?«
    »Das ist mir jetzt wirklich peinlich. Aber Sie haben es ja nicht anders gewollt. Das Leben hier ist öde, wissen Sie, und Ihre Fieberphantasien waren äußerst kurzweilig. Ich gebe zu, ich bin manchmal lauschen gekommen – einfach aus Langeweile. Was Sie jetzt gerade zusammenreden, finde ich nicht annähernd so interessant.«
    Darauf war ich nicht gefaßt gewesen. Um mich einzukriegen, mußte ich langsam bis zehn zählen. Und gleich noch einmal. Es half nicht – ich spürte einen unbändigen, geradezu blinden Haß in mir aufsteigen.
    »Darf ich um eine Zigarette bitten?«
    Anna streckte mir das geöffnete Etui entgegen.
    »Danke«, sagte ich. »Es ist nett, mit Ihnen zu plaudern.«
    »Finden Sie?«
    »Ja«, sagte ich und merkte, daß die Zigarette in meinen Fingern zitterte, was mich noch mehr in Rage brachte. »Ihre Worte regen zum Denken an.«
    »In welcher Weise?«
    »Zum Beispiel haben Sie vorhin die Realität des Flieders angezweifelt, in dem die Stadt hier versinkt. Das hat mich gewundert. Aber eigentlich ist es doch sehr russisch.«
    »Was ist für Sie so besonders russisch daran?«
    »Das russische Volk hat schon sehr früh begriffen, daß das Leben ein Traum ist. Wissen Sie, was ein Sukkubus ist?«
    »Ja«, sagte Anna lächelnd, »ich glaube, so heißt ein Dämon, der weibliche Züge annimmt, um einen schlafenden Mann zu becircen. Was hat das damit zu tun?«
    Ich zählte noch einmal bis zehn. Meine Gefühle blieben die gleichen.
    »Sehr viel. Stellen Sie sich einen Russen vor, wie er das Wort ›Suki‹ ausspricht, das Ärgste, was sich im Russischen über Frauen sagen läßt. ›Suki‹ ist nur die Verkleinerungsform zu ›Sukkuben‹, müssen Sie wissen. Das kommt vom Katholizismus her, Sie kennen das sicher: Pseudodemetrius II., Marina Mnishek und so weiter, Polen, wo man hinsieht, kurz, das Chaos, die berühmte Zeit der smuta . Seit damals hat sich das eingebürgert. Übrigens hat auch der Panmongolismus dort seinen Ursprung, ich habe erst

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