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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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ordinären Gesichtszügen, das neben einem Geranientopf saß. Ich bemerkte, daß Anna aus den Augenwinkeln gleichfalls auf das Foto schielte.
    »Das ist Njura, meine Braut«, sagte der Stabshauptmann. »Genauer gesagt, das war sie. Keine Ahnung, wo sie jetzt steckt. Wenn ich an vergangene Tage zurückdenke, sehe ich alles noch ganz lebendig vor mir. Die Eisbahn auf den Patriarchenteichen, die Sommerferien auf dem Gut. In Wirklichkeit ist es aus, aus und vorbei, und hätte es das alles nie gegeben – was würde es ändern an dieser Welt? Verstehen Sie das Schreckliche daran? Es machte keinen Unterschied.«
    »Verstehe«, sagte ich, »verstehe vollkommen, glauben Sie mir.«
    »Sie ist also auch ein Traum?«
    »Sieht ganz danach aus«, erwiderte ich.
    »Aha«, sagte er zufrieden und schaute sich nach seinem Kumpanen um, der lächelnd dasaß und rauchte. »Darf ich Sie also in dem Sinne verstehen, gnädiger Herr, daß meine Braut Njura eine Schlampe ist?«
    »Was?«
    »Ja, was«, sagte Stabshauptmann Gärtner und sah sich schon wieder nach seinem Kumpanen um. »Sie haben vorhin selbst gesagt, daß ›Suki‹ die Verkleinerungsform von ›Sukkuben‹ ist. Nehmen wir an, Njura reizt mich als Frau, ist aber nur eine Täuschung – muß man daraus nicht notwendig den Schluß ziehen, daß sie eine Schlampe ist? Man muß es wohl. Und Sie wissen doch, gnädiger Herr, was solche Wörter, wenn sie in der Öffentlichkeit fallen, für Folgen haben?«
    Ich sah mir mein Gegenüber aufmerksam an. Er schien um die Dreißig; blonder Oberlippenbart, hohe Stirn mit Geheimratsecken, blaue Augen – und in alledem ein provinzieller Dämonismus von solcher Konzentration, daß es schmerzte.
    »Hören Sie«, sagte ich, wobei ich die Hand möglichst unauffällig in die Tasche gleiten ließ und nach dem Knauf der Pistole tastete, »ich finde das wirklich übertrieben. Ich habe nicht die Ehre, mit Ihrer Braut bekannt zu sein. Folglich kann ich mir keinerlei Meinung über sie erlauben.«
    »Niemand darf es wagen, Schlüsse zu ziehen«, sagte der Stabshauptmann, »aus denen hervorgeht, daß meine Braut Njura eine Schlampe ist. Tut mir sehr leid, doch aus dieser Situation sehe ich nur einen Ausweg.«
    Mich mit Blicken durchbohrend, legte er die Hand an sein Halfter und knöpfte es langsam auf. Ich dachte schon daran zu schießen, als mir einfiel, daß dort nur die Schachtel mit dem Spritzbesteck war. Das machte die Sache lustig.
    »Wollen Sie mir eine Spritze geben?« fragte ich. »Besten Dank, aber ich kann Morphium nicht ausstehen. Ich finde, es macht dumm.«
    Der Stabshauptmann zog die Hand vom Halfter zurück und sah sich neuerlich nach seinem Kumpanen um, einem dicklichen jungen Mann mit hochrotem Gesicht, der unser Gespräch gespannt verfolgt hatte.
    »Mach Platz, George«, sagte er, kam schwerfällig hinter dem Tisch hervor und zog seinen Säbel, »diesem Herrn werde ich die Spritze verpassen.«
    Mag der Himmel wissen, was weiter passiert wäre – vermutlich hätte ich kurze Zeit später geschossen, und dies mit um so weniger Mitgefühl, als die Gesichtsfarbe des jungen Mannes auf eine Neigung zur Apoplexie hindeutete, ihm also ohnehin kein langes Leben beschieden war. Doch hier geschah das Unerwartete.
    Vom Eingang her ertönte ein lauter Ruf:
    »Alles bleibt auf seinem Platz! Eine Bewegung, und ich schieße!«
    Ich drehte mich um. Am Eingang stand ein großer, breitschultriger Mann in grauem Anzug mit himbeerfarbenem Russenhemd. Sein Gesicht wirkte energisch und stark – nur das kleine, fliehende Kinn paßte nicht dazu, das sich gut auf einem antiken Relief gemacht hätte. Er war kahlgeschoren und hielt in jeder Hand einen Revolver. Die beiden Offiziere erstarrten; der Kahlkopf kam schnell auf unseren Tisch zu und blieb davor stehen, die Revolver auf die Köpfe der beiden gerichtet. Die Augen des Stabshauptmanns zuckten.
    »Stehenbleiben, sag ich«, drohte der Herr in Zivil. »Schön ruhig.«
    Plötzlich verzerrte sich sein Gesicht zu einer wütenden Grimasse, und er drückte zweimal kurz hintereinander ab. Die Revolver klickten nur.
    »Schon mal vom russischen Roulett gehört, meine Herren?« fragte er. »Ich frage Sie!«
    »Ja«, sagte der Offizier mit dem puterroten Gesicht.
    »Sie können sich momentan als Teilnehmer an diesem Spiel betrachten, und ich habe die Ehre, Ihr Croupier zu sein. Ganz im Vertrauen darf ich Ihnen mitteilen, daß jeder dieser Revolver im dritten Lager eine scharfe Patrone stecken hat. Falls Sie mich verstanden

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