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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Stadt. Muß aber bald zurück sein.«
    »In welcher Stadt sind wir, wenn ich fragen darf?«
    »Sie heißt Altai-Widnjansk. Mitten in den Bergen. Man möchte kaum glauben, daß in solchen Gegenden Städte entstehen. Die Hautevolee besteht aus einer Handvoll Offizieren, ein paar zwielichtigen Persönlichkeiten aus Petersburg und der ansässigen Intelligenzija. Die Einwohner haben von Krieg und Revolution bestenfalls etwas läuten hören. Und vor der Stadt treiben die Bolschewiken ihr Unwesen. Ein totes Nest.«
    »Was haben wir dann hier verloren?«
    »Warten Sie, bis Tschapajew kommt«, sagte Anna. »Er wird Ihnen alles erklären.«
    »Dann werde ich bis dahin, wenn Sie erlauben, einen kleinen Stadtbummel machen.«
    »Das dürfen Sie auf keinen Fall«, sagte Anna bestimmt. »Bedenken Sie doch, Sie sind eben erst zu sich gekommen. Sie könnten einen Schwächeanfall kriegen oder wer weiß was. Wenn Sie nun mitten auf der Straße in Ohnmacht fallen?«
    »Ihre Fürsorge rührt mich ungemein«, sagte ich, »und wenn sie aufrichtig ist, müssen Sie mir wohl oder übel Gesellschaft leisten.«
    »Sie lassen mir keine Wahl«, erwiderte sie seufzend. »Was schwebt Ihnen vor?«
    »Vielleicht gibt es hier ja eine von diesen Restaurationen, wie man sie in der Provinz meistens hat, mit mickriger Palme im Kübel und warmem Jerez in der Karaffe? Das wäre genau das richtige. Und Kaffee müßte es geben.«
    »Da weiß ich etwas«, sagte Anna. »Nur ohne Palme. Und ohne Jerez, vermute ich.«
     
    Die Stadt Altai-Widnjansk bestand hauptsächlich aus kleinen, ein- oder zweistöckigen Holzhäusern; die Abstände zwischen ihnen waren ziemlich groß. Umgeben von hohen, zumeist braun gestrichenen Bretterzäunen, hinter denen alte, verwilderte Gärten lagen, waren die Häuser im dichten Laubwerk fast nicht zu sehen. Zum Zentrum hin, dem wir uns über eine abschüssige Pflasterstraße näherten, gab es Ziegelbauten, auch diese in der Regel nicht mehr als zwei Stockwerke hoch. Ein paar hübsche gußeiserne Geländer und ein Feuerwehrturm fielen mir besonders auf, er hatte etwas undefinierbar Deutsches an sich. Alles in allem ein typisches Provinzstädtchen, still und licht, nicht ohne jungfräulichen Charme, bis über den Scheitel im blühenden Flieder versunken. Es lag wie am Boden eines Kelches, den die ringsum aufstrebenden Gebirgshänge bildeten, der zentrale Platz mit dem mißratenen Denkmal von Alexander II. markierte den tiefsten Punkt. Die Fenster des Restaurants »Herz Asiens«, in das Anna mich führte, gingen auf diesen Platz hinaus. Das Ganze schien mir darauf zu warten, in einem Gedicht verewigt zu werden.
    Im Restaurant war es kühl und still; Palmen im Kübel waren nicht vorhanden, aber ein ausgestopfter Bär mit Hellebarde in den Tatzen stand in einer Ecke des Saales. Es gab wenig Publikum. An einem der kleinen Tische zechten zwei recht verwahrlost aussehende Offiziere. Als ich mit Anna vorüberging, starrten sie mich an und wandten den Blick im nächsten Moment gleichgültig wieder ab. Ich war mir zugegebenermaßen unsicher, ob mein neuer Status mich vielleicht verpflichtete, unverzüglich mit dem Browning das Feuer auf sie zu eröffnen – nach Annas gelassener Reaktion zu urteilen, bestand die Notwendigkeit nicht. Sowieso waren die Schulterstücken von ihren Uniformen abgetrennt. Wir setzten uns an den Nachbartisch, und ich bestellte Champagner.
    »Sie wollten doch Kaffee trinken«, sagte Anna.
    »Stimmt«, sagte ich. »Eigentlich trinke ich tagsüber nie.«
    »Woran liegt es?«
    »Ausschließlich an Ihnen.«
    »Mh-hm«, machte Anna. »Sehr freundlich von Ihnen, Pjotr. Nur möchte ich Sie gleich bitten, mich zu verschonen. Versuchen Sie um Gottes willen nicht schon wieder, mir den Hof zu machen. Die Aussicht auf eine Affäre mit einem verwundeten Kavalleristen, noch dazu in einer Stadt, wo Wasser und Kerosin knapp sind, finde ich überhaupt nicht verlockend.«
    Etwas anderes hatte ich nicht erwartet.
    »Gut«, sagte ich, als der Kellner die Flasche auf den Tisch gestellt hatte, »wenn Sie partout den verwundeten Kavalleristen in mir sehen wollen – von mir aus. Aber wen darf ich bitteschön in Ihnen sehen?«
    »Die MG-Schützin«, sagte Anna. »Wenn Sie es korrekter haben möchten: die Lewisistin. Ich bevorzuge das Lewis-MG mit Trommelmagazin.«
    »Als Kavallerist habe ich, wie Sie sich denken können, eine Abneigung gegen Ihren Beruf. Es gibt keine ärgere Vorstellung als die, in geschlossener Formation gegen ein

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