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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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»haben Sie in Ihrer Flasche da zu fällig Wodka?«
    »Nein«, sagte der Mann und wandte sich um, »das ist Selbstgebrannter.«
    Es war Tschapajew.
    Vor Überraschung zuckte ich zusammen.
    »Wassili Iwanowitsch!«
    »Grüß dich, Petka«, sagte der Mann mit breitem Grinsen. »Ich sehe, du bist wieder auf den Beinen.«
    Ich konnte mich nicht erinnern, seit wann wir uns duzten. Es gab überhaupt wenig, woran ich mich erinnern konnte. Der Blick, mit dem Tschapajew mich ansah, wirkte ein bißchen verschlagen; eine verschwitzte Locke fiel ihm in die Stirn, das Hemd war bis zur Bauchmitte aufgeknöpft. Kurz, er bot einen feucht-fröhlichen Anblick und glich dem Bild von ihm, das ich im Gedächtnis trug, so wenig, daß ich einige Sekunden schwankte und mich fragte, ob ich mich nicht geirrt hatte.
    »Setz dich, Petka, setz dich«, sagte Tschapajew und nickte zur zweiten Bank hin.
    »Ich dachte, Sie wären verreist, Wassili Iwanowitsch?« sagte ich, während ich mich setzte.
    »Vor ner Stunde bin ich eingetrudelt und gleich in die Sauna marschiert. Eins a bei der Hitze! Aber was erzähl ich dir von mir, sag doch mal du: Wie fühlst du dich?«
    »Normal«, sagte ich.
    »Aufgerappelt, die Mütze auf den Kopf und ab ins Städtchen! Markier mal lieber nicht den Helden, du. Es geht das Gerücht, dein Merks hätte was abgekriegt?«
    »Das stimmt«, sagte ich und versuchte geflissentlich, den albern hervorgekehrten Gossenton zu überhören. »Wer hat Ihnen denn das so brühwarm erzählt?«
    »Semjon natürlich, wer sonst. Dein Bursche. Kannst du dich wirklich an nichts erinnern?«
    »Ich weiß nur noch, wie wir in den Zug nach Moskau gestiegen sind«, sagte ich. »Alles übrige ist wie weggewischt. Ich kann mich nicht einmal entsinnen, seit wann Sie mich duzen.«
    Eine Weile fixierte Tschapajew mich mit zusammengekniffenen Augen, es war, als blickte er durch mich hindurch.
    »Ja«, sagte er schließlich, »ich seh schon. Verzwickte Sache. Wobei ich mir denke, du spielst ein bißchen Verstecken, Petka.«
    »Wieso Verstecken?«
    »Laß nur, ist schon in Ordnung«, sprach Tschapajew weiter in Rätseln, »die Wunde ist ja noch frisch. Zum erstenmal geduzt haben wir uns übrigens auf der Bahnstation Losowaja, kurz vor der Schlacht.«
    »Was war das für eine Schlacht?« fragte ich und runzelte die Stirn. »Davon höre ich jetzt zum x-tenmal, ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern. Von dem Versuch kriege ich nur Kopfschmerzen.«
    »Wenn es so ist, denk nicht weiter drüber nach. Du wolltest doch trinken? Komm!«
    Tschapajew kantete die Flasche auf ein Glas, füllte es bis zum Rand und schob es mir hin.
    »Ergebensten Dank!« sagte ich ironisch und trank. Trotz der abschreckend trüben Färbung war der Schnaps vorzüglich – er schien auf irgendwelchen Kräutern angesetzt zu sein.
    »Zwiebel?«
    »Einstweilen nicht. Ist aber nicht auszuschließen, daß ich heute noch Zustände bekomme, in denen es mich gelüstet, Zwiebeln zum Schnaps zu essen.«
    »Was ist dir über die Leber gelaufen?« fragte Tschapajew.
    »Nichts Besondres. Trübe Gedanken.«
    »Nanu? Was denn für Gedanken?«
    »Es interessiert Sie doch nicht etwa wirklich, Wassili Iwanowitsch, was ich denke?«
    »Wieso denn nicht. Natürlich interessiert mich das.«
    »Ich denke darüber nach, daß die Liebe einer schönen Frau in Wirklichkeit immer Herablassung bedeutet. Weil es einfach unmöglich ist, einer solchen Liebe würdig zu sein.«
    »Hä?« machte Tschapajew und legte die Stirn in Falten.
    »Hören Sie doch auf, den Narren zu spielen. Ich meine es ernst.«
    »Ach so?« fragte Tschapajew. »Na gut, dann paß auf. Herablassung geschieht immer von dem einen herab zu dem anderen hinunter. So wie das Seil aus dem ersten Stock da drüben zum Beispiel. Deine Herablassung geschieht von wo nach wo?«
    Ich dachte nach. Es war klar, worauf er hinauswollte. Hätte ich von der Herablassung der Schönheit gegenüber dem Häßlichen, Leidenden zu reden behauptet, wäre sogleich die Frage gefolgt, ob denn diese Schönheit von sich weiß – und wenn ja, ob sie dann überhaupt noch schön sein kann. Auf diese Frage, die mich in langen Petersburger Nächten schier in den Wahnsinn getrieben hatte, wußte ich keine Antwort. Wenn ich hingegen eine Schönheit meinte, die sich ihrer nicht gewiß war – wie konnte in ihrem Fall von Herablassung die Rede sein? Tschapajew war entschieden nicht dumm.
    »Sagen wir so, Wassili Iwanowitsch: keine Herablassung von und zu etwas, sondern der Akt

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