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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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eherner, unerschütterlicher Sommer; Hunde blafften hie und da faul vor sich hin, und vom Himmel prasselte das Sperrfeuer der glühenden Sonne hernieder. Kaum war mir diese Metapher eingefallen, schon mußte ich daran denken, daß Anna sich eine MG-Schützin nannte; Tränen traten mir in die Augen, und ich schlug die Hände vor das Gesicht.
    Nach einigen Minuten stand ich auf und lief weiter bergan. Das Schlimmste war vorüber. Mehr noch: Von all den Gedanken, die mein Gemüt eben noch zu martern und mich in einen Abgrund zu stürzen schienen, ging plötzlich eine zarte Wonne aus. Die Melancholie, die mich ergriffen hatte, war unbeschreiblich süß. Und ich wußte, schon in einer Stunde würde ich mir dieses Gefühl sehnlichst zurückwünschen, doch es wäre unwiderruflich dahin.
    Kurze Zeit später war ich wieder an dem Gutshaus angelangt. Ich sah, daß auf dem Hof einige Pferde angebunden standen, die zuvor nicht dort gewesen waren. Außerdem stieg aus dem Schornstein eines der Seitenflügel Rauch. Als ich das Portal erreicht hatte, blieb ich stehen. Die Straße ging weiter hinauf und verlor sich in einer von sattem Grün überwölbten Biegung; weiter oben gab es kein einziges Haus zu sehen, und es war vollkommen unklar, wohin die Straße führte. Ich hatte keine Lust, drinnen irgendwem in die Arme zu laufen; so begann ich, vom Hof aus gemächlichen Schrittes das Anwesen zu umrunden.
    »Na los doch«, grölte eine Baßstimme aus dem ersten Stock, »halt dagegen, du Idiot!«
    Dort oben saßen sie anscheinend beim Kartenspiel. Ich bog jetzt um die hintere Hausecke – und befand mich auf einem zweiten Hof. Es war ein unerwartet malerischer Anblick: In einigen Metern Abstand von der Mauer fiel das Gelände ab und bildete eine natürliche, von Bäumen überschattete Senke. Dort sprudelte ein kleiner Bach, man sah die Dächer von zwei oder drei Wirtschaftsgebäuden dahinterliegen, und noch um einiges weiter, auf einer kleinen Brache, stand ein großer Heuschober – haargenau von der Art, wie man sie von den bukolischen Idyllenbildchen in der »Niwa« kannte. Ich bekam ungeheure Lust, mich im Heu zu wälzen, und lief auf den Schober zu. Plötzlich aber, ich war nur noch etwa zehn Schritte von meinem Ziel entfernt, sprang ein Mann mit Gewehr hinter einem Baum hervor und stellte sich mir wortlos in den Weg.
    Es war ebenjener Baschkire, der uns im Speiseabteil des Stabswaggons bedient und dann die Wagen mit den Webern vom Zug abgekoppelt hatte – nur daß jetzt ein schütterer schwarzer Backenbart sein Gesicht zierte.
    »Na, hören Sie mal«, sprach ich ihn an, »wir kennen uns doch, oder? Ich will mich ein bißchen ins Heu schmeißen, weiter nichts. Und ich verspreche Ihnen, nicht zu rauchen.«
    Der Baschkire reagierte nicht auf meine Worte; seine Augen starrten mich ausdruckslos an. Ich machte den Versuch, im Bogen um ihn herumzugehen, worauf er einen Schritt zurückwich, die Flinte hob und mir das Bajonett an den Hals setzte.
    Ich machte kehrt und trollte mich. Das Benehmen dieses Baschkiren hatte mich zutiefst erschreckt. Als er das Bajonett auf mich richtete, hielt er seine Flinte wie einen Speer, so als wüßte er gar nicht, daß man daraus auch schießen konnte, und diese Bewegung mutete so zügellos und ungebärdig an, daß mir der in meiner Manteltasche ruhende Browning wie ein simples Kinderspielzeug vorkam. Wieder bei dem Bach angekommen, wandte ich mich um. Der Baschkire war verschwunden. Ich hockte mich nieder und wusch ausgiebig meine Mütze.
    Auf einmal bekam ich mit, daß sich zum Plätschern des Bachs, wie zum Klang eines wunderlichen Instruments, eine leise, recht wohlklingende Stimme gesellte. Im nahegelegenen Schuppen (ein ehemaliges Dampfbad, wie sich an dem aus dem Dach ragenden Rohr erkennen ließ) sang jemand vor sich hin:
    Weiß ist mein Hemd.
Still liegt das Feld, das ich quere.
Kraniche stehn
Reglos wie kupferne Kreuze …
    Etwas an diesen Worten rührte mich an, und ich beschloß nachzusehen, wer da sang. Ich preßte das Wasser aus der Mütze, steckte sie hinter den Gürtel, dann ging ich zu dem Schuppen und zog, ohne zu klopfen, die Tür auf.
    Drinnen stand zwischen zwei Sitzbänken ein breiter Tisch aus frisch gehobelten Brettern. Auf dem Tisch eine riesige Flasche mit einer trüben Flüssigkeit, dazu ein Glas. Ein paar Zwiebeln lagen daneben. Auf der Bank nächst der Tür saß, mit dem Rücken zu mir, ein Mann im blütenweißen Hemd, das ihm über die Hose hing.
    »Verzeihung«, sagte ich,

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