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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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der Herablassung an sich. Die ontologische Herablassung sozusagen.«
    »Ont dö logösche Höroblossong göschöht wo?« fragte Tschapajew, während er sich zur Seite beugte und ein weiteres Glas unter dem Tisch hervorholte.
    »Ich mag nicht in diesem Ton reden.«
    »Dann trinken wir lieber«, sagte Tschapajew.
    Wir tranken. Für einen Moment blickte ich zweifelnd auf die Zwiebel.
    »Nein, sag doch mal«, sagte Tschapajew und wischte sich den Schnauzbart, »wo geschieht sie?«
    »Wenn Sie zu einem ernsthaften Gespräch fähig sind, sage ich es Ihnen.«
    »Nur zu.«
    »Genaugenommen kann von Herablassung tatsächlich nicht die Rede sein. Es ist nur so, daß man diese Art von Liebe als Herablassung empfindet.«
    »Wo empfindet man sie?«
    »Im Bewußtsein, Wassili Iwanowitsch, im vollen Bewußtsein«, sagte ich sarkastisch.
    »Also, mal simpel ausgedrückt, im Kopf, ja?«
    »So ungefähr.«
    »Und Liebe, wo passiert die?«
    »Auch dort, Wassili Iwanowitsch. Mal simpel ausgedrückt.«
    »Aha«, sagte Tschapajew mit Befriedigung in der Stimme. »Also: Du hattest gefragt, ob … wie war das noch mal … ob Liebe immer Herablassung bedeutet, war es so?«
    »Ja.«
    »Und Liebe passiert bei dir im Kopf?«
    »Hm.«
    »Und diese Herablassung auch?«
    »Kann man so sehen. Was soll das heißen?«
    »Schlimm muß es um dich stehen, Petka, daß ich, dein Kommandeur, mich von dir fragen lassen muß, ob das, was bei dir im Kopf passiert, immer das ist, was bei dir im Kopf passiert, oder nicht immer!«
    »Sophistik«, sagte ich und trank mein Glas leer. »Sophistik reinsten Wassers. Und überhaupt, ich verstehe gar nicht, warum ich mich damit herumquäle. Das habe ich doch in Petersburg alles schon einmal erlebt: eine schöne Frau im bordeauxroten Samtkleid stellt ihr leeres Kristallglas auf den Tisch zurück, ich fingere nach dem Taschentuch, und …«
    Tschapajews Husten übertönte meine Stimme. Ich sprach leise zu Ende, ohne zu wissen, für wen:
    »Was will ich denn von ihr? Als ob ich nicht wüßte, daß die Vergangenheit unwiederbringlich ist! Alle äußeren Umstände kann man noch so geschickt imitieren – den, der man einmal war, holt man nicht zurück.«
    »Was du für Zinnober zusammenredest, Petka«, sagte Tschapajew und setzte ein selbstherrliches Grinsen auf. »Samtkleid und Kristallglas, alle Achtung.«
    »Wohl wieder mal Tolstoi gelesen, Wassili Iwanowitsch?« fragte ich und rang um Beherrschung. »Die neue Schlichtheit ist angesagt?«
    »Nach irgendwelchen Tolstois steht uns momentan nicht der Sinn«, entgegnete Tschapajew. »Und falls unsere Anka das Objekt deiner Begierde ist, dann laß dir gesagt sein, daß jedes Weib seinen besonderen Zugang braucht. Ist es die Anka, nach der du gierst, ja? Hab ich richtig geraten?«
    Seine Augen wurden zu zwei schmalen, tückischen Schlitzen. Dann hieb er plötzlich die Faust auf den Tisch.
    »Antworte gefälligst, wenn dein Divisionskommandeur dich was fragt!«
    Er war in einer übermütigen Stimmung, gegen die ich nicht ankam.
    »Ist doch egal«, sagte ich. »Trinken wir noch einen, Wassili Iwanowitsch.«
    Tschapajew lachte in sich hinein und goß beide Gläser voll.
    Die nächsten Stunden sind mir nur dunkel in Erinnerung geblieben. Ich betrank mich heftig. Das Gespräch drehte sich, wenn ich mich recht entsinne, um den Krieg – genauer gesagt, Tschapajew erzählte vom Ersten Weltkrieg. Was er erzählte, klang einigermaßen glaubwürdig: Er sprach von der deutschen Kavallerie, von irgendwelchen Brückenköpfen, Giftgasattacken und Windmühlen mit MG-Nestern. An einer Stelle geriet er so in Wallung, daß er mit funkelnden Augen brüllte:
    »Hach, Petka! Weißt du überhaupt, wie ich Krieg führe? Das kannst du gar nicht wissen! Es gibt drei Tschapajewsche Stoßrichtungen, klar?«
    Ich nickte mechanisch, ohne richtig hinzuhören.
    »Erstens: wo!«
    Er hieb die Faust auf den Tisch, so daß die Flasche beinahe umkippte.
    »Zweitens: wann!«
    Wieder ging die Faust auf die Tischplatte nieder.
    »Und drittens: wer!«
    Bei anderer Gelegenheit hätte ich seine Inszenierung zu würdigen gewußt, doch die Hitze und der Selbstgebrannte hatten mich derart zermürbt, daß ich, ungeachtet des Gebrülls und der Fausthiebe, auf der Bank sitzend einschlief; als ich wieder erwachte, war es draußen schon dunkel, man hörte in der Ferne Schafe blöken.
    Ich hob den Kopf von der Tischplatte, sah mich im Raum um und hatte das Gefühl, in einer Petersburger Kutscherkneipe zu sein. Auf dem Tisch

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