Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
merkwürdiges Emblem fiel ihm auf: eine rote Blume mit unsymmetrischen Blütenblättern im Oval. Darunter die Annonce:
    Die Moskauer Niederlassung der japanischen Firma Taira Inc. schreibt mehrere Mitarbeiterstellen zur Bewerbung aus. Kenntnis der englischen Sprache und Computererfahrung erforderlich.
    Serdjuk schüttelte heftig den Kopf. Für einen Moment war es ihm so vorgekommen, als hätte neben der Annonce noch eine weitere mit demselben Logo gestanden. Erst beim näheren Hinsehen bekam er mit, daß das zweite Emblem von einem Zwiebelring, einem aus dem trockenen Brötchen ragenden Ende gräulich-toten Fleisches mit Schnittmuster und einer blutigen Spur Ketchup gebildet wurde. Befriedigt nahm Serdjuk zur Kenntnis, daß sich die verschiedenen Wirklichkeitsebenen zu mischen begannen; er riß die Annonce sorgsam aus der Zeitung heraus, leckte einen Tropfen Ketchup ab, faltete sie zusammen und steckte sie in die Jackentasche.
    Von da an das Übliche.
     
    Geweckt wurde Serdjuk von Brechreiz und grauem Morgenlicht. Das Licht war am widerwärtigsten – wie immer hatte er das Gefühl, als wäre es zu Desinfektionszwecken mit Chlor versetzt worden. Serdjuk orientierte sich flüchtig und stellte fest, daß er bei sich zu Hause war; allem Anschein nach hatte er am Vortag Gäste gehabt (wer, fiel ihm nicht ein). Mit Mühe kam er vom Fußboden hoch, zog die Jacke aus, setzte die Mütze ab (beides starrte vor Dreck) und hängte sie im Flur an den Haken. Anschließend kam er auf die Idee, im Kühlschrank könnte Bier sein (es hatte mehrere solche Fälle in seinem Leben gegeben). Als ihn noch wenige Meter von der Kühlschranktür trennten, klingelte das Telefon. Serdjuk nahm ab und wollte »Hallo?« sagen, doch schon der Versuch ließ ihn so sehr leiden, daß statt dessen ein Stöhnen wie »Och he!« in den Hörer rutschte.
    »Ohayô gozaimasu!« tönte es munter zurück. »Herr Serdjuk?«
    »Ja«, sagte Serdjuk.
    »Guten Tag. Ich bin Oda Nobunaga, wir hatten dieses nette Gespräch gestern abend. Besser gesagt, letzte Nacht. Sie waren so freundlich, mich anzurufen.«
    »Ja«, sagte Serdjuk und faßte sich mit der freien Hand an den Kopf.
    »Ich habe Ihren Vorschlag mit Herrn Yoshitsune Kawabata besprochen, und er ist bereit, Sie heute fünfzehn Uhr zum Bewerbungsgespräch zu empfangen.«
    Die Stimme im Telefon war Serdjuk nicht bekannt. Klar war nur, daß es sich um einen Ausländer handelte – zwar sprach er völlig akzentfrei, ließ aber in seinen Sätzen Pausen, die den Eindruck erweckten, als müßte er zur Wahl der passenden Worte erst im Wörterbuch nachschlagen.
    »Freut mich außerordentlich«, sagte Serdjuk. »Um welchen Vorschlag handelt es sich genau?«
    »Den Sie mir gestern unterbreiteten. Genauer gesagt, heute.«
    »Ah ja«, sagte Serdjuk, »ah, jaja!«
    »Notieren Sie die Adresse!« empfahl Oda Nobunaga.
    »Sofort«, sagte Serdjuk, »einen Moment. Ich hole den Stift.«
    »Haben Sie denn Stift und Notizblock nicht neben dem Telefon liegen?« fragte Nobunaga mit deutlicher Gereiztheit in der Stimme. »Das sollten Sie als Geschäftsmann aber.«
    »Ich höre.«
    »Metrostation Nagornaja, linker Ausgang. Da ist ein Metallzaun. Dahinter das Haus. Eingang über den Hof. Die genaue Adresse ist Pjatichlebny pereulok, Nummer 5. Es gibt ein … ein Schild.«
    »Vielen Dank.«
    »Das war es von meiner Seite. Sayônara, wie man bei uns sagt«, sagte Nobunaga und legte auf.
    Bier war keines im Kühlschrank.
     
    Kaum daß Serdjuk – lange vor der anberaumten Zeit – aus der Metrostation Nagornaja zutage gestiegen war, sah er den Zaun: von Dellen übersät, mit abgeblättertem Anstrich, so unansehnlich und schmutzig, daß Serdjuk nicht glauben mochte, es könnte der von Herrn Nobunaga gemeinte sein. Eine Zeitlang lief er die Umgebung ab und hielt die wenigen Passanten an, um sie nach der Pjatichlebny-Straße zu fragen. Keiner wußte es oder wollte es sagen; meistens geriet Serdjuk an alte, schwarzgekleidete, sich langsam dahinschleppende Frauen, die ohnehin nicht redeten.
    Ringsum sah es wüst aus. Viel von Unkraut überwucherter Beton, wie die Reste eines vor Zeiten ausgebombten Industrieviertels. Hie und da ragte rostiges Eisen aus dem Grün, dazwischen war freier Raum, der Himmel weit; am Horizont ein dunkler Streifen Wald. All dies konnte wenig überraschen, und doch war an dem Gelände etwas nicht normal. Schaute man gen Westen, wo der verschlissene grüne Blechzaun stand, hatte man ein normales Stadtpanorama vor

Weitere Kostenlose Bücher