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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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sich. Ostwärts hingegen bot sich dem Blick ein riesiges ödes Feld, überragt von einigen Bogenlampen, die Galgen hätten sein können – Serdjuk fühlte sich wie auf dem geheimen Grenzstreifen zwischen postindustriellem Rußland und mittelalterlichem Kiewer Reich.
    Dies war entschieden nicht die Gegend, wo seriöse ausländische Agenturen ihre Büros zu eröffnen pflegten; Serdjuk schlußfolgerte, daß es sich um eine winzige Firma handeln mußte, in der eine Hand voll lebensfremder Japaner ihr Auskommen suchten (irgendwie kamen ihm gleich die Bauern aus den »Sieben Samurai« in den Sinn). Damit war auch klar, warum sein betrunkener Anruf so lebhaftes Interesse hervorgerufen hatte. Sogleich überströmte ihn eine Woge von Mitleid und Herzlichkeit gegenüber diesen Leidensgenossen, die es genauso wenig fertigbrachten wie er, sich ein halbwegs bequemes Leben zu organisieren. Gewissensbisse, sich nicht wenigstens rasiert zu haben, die ihn auf dem Weg hierher gequält hatten, waren nun natürlich überflüssig.
    Herrn Nobunagas Formulierung »dahinter das Haus« hätte auf -zig Gebäude zutreffen können. Serdjuk entschied sich aus unklarem Grund sofort für einen grauen Achtgeschosser mit Lebensmittelgeschäft im Parterre, und nachdem er dort zwei, drei Minuten über den Hof geschlendert war, bemerkte er an einer Hauswand tatsächlich ein quadratisches gußeisernes Täfelchen: HANDELSHAUS TAIRA. Darunter gab es einen winzigen Klingelknopf, der zwischen den Mauerbuckeln kaum auffiel. Einen guten Meter weiter befand sich eine grobe, in wuchtige Angeln gehängte, grün gestrichene Stahltür. Bestürzt blickte Serdjuk an der Wand entlang. Falls das Schild sich nicht auf den Gullideckel im Asphalt bezog, blieb nur diese Tür. Serdjuk wartete noch, bis es auf seiner Uhr zwei Minuten vor drei war, und drückte auf den Knopf.
    Die Tür öffnete sich beinahe sofort. Dahinter stand der übliche Hüne im Tarnanzug mit Gummiknüppel in der Hand. Serdjuk nickte höflich und setzte zum Sprechen an, um den Grund seines Besuchs zu erläutern, doch der Mund blieb ihm offen stehen.
    Hinter der Tür lag ein kleiner Vorraum, wo Tisch (mit Telefon) und Stuhl standen. Ein großes Bild an der Wand fiel ins Auge, das einen in die Tiefe führenden Korridor zeigte. Erst auf den zweiten Blick sah Serdjuk, daß es kein Bild war, sondern ein wirklicher, hinter einer Glastür liegender Korridor von allerdings merkwürdiger Art: An den Wänden hingen Laternen mit Schirmen aus Reispapier und flackernden Flämmchen darin; der Fußboden war von einer dicken, gelben Sandschicht bedeckt, auf der, dicht an dicht, kleine Matten aus geschlissenem Bambus ausgelegt waren, die zusammen etwas wie einen Läufer ergaben. Die Laternenschirme trugen in leuchtendem Rot das Zeichen, das er aus der Zeitungsannonce kannte: eine Blume mit vier rhombischen Blütenblättern (die äußeren etwas länger), oval umrahmt. Der Korridor führte nicht, wie es erst schien, in endlose Tiefen, sondern im sanften Bogen nach rechts (so etwas war ihm in noch keinem Moskauer Haus begegnet), wodurch das Ende nicht einzusehen war.
    »Worum geht's?« zerschnitt die Stimme des Wachmanns die Stille.
    »Ich habe einen Termin bei Herrn Kawabata«, sagte Serdjuk, der die Fassung nur allmählich wiedergewann. »Um drei.«
    »Ah. Dann kommen Sie rein, Mann. Die mögen es nicht, wenn die Tür lange aufbleibt.«
    Serdjuk tat einen Schritt nach vorn, und der Wachmann zog die Tür hinter ihm zu, worauf er noch den Knauf eines massiven Schlosses herumdrehte, der aussah wie ein Dampfventil.
    »Bitte die Schuhe ausziehen!« sagte er. »Dort sind die Geta.«
    »Die was?« fragte Serdjuk.
    »Die Geta. Na, die Hausschuhe von denen. Muß man hier anhaben. Vorschrift.«
    Serdjuk sah etliche Paare Holzschuhe auf dem Boden stehen, die auf den ersten Blick sehr monströs und unbequem wirkten: je ein hoher Leisten mit Doppelschlaufe aus Hanf, der offenbar an den bloßen Fuß gehörte, da die Schlaufe zwischen zweitem und drittem Zeh einzufädeln war. Serdjuk rätselte noch, ob der Wachmann es ernst meinte, als sein Blick auf eine Reihe schwarzer Lackschuhe in der Ecke fiel, aus denen die Socken hervorschauten. Er ließ sich auf einem flachen Bänkchen nieder und zog die Schuhe aus. Als er fertig war, stand er auf und merkte, daß die Geta ihn gute zehn Zentimeter größer machten.
    »Darf man jetzt?« fragte er.
    »Ja. Nehmen Sie eine Laterne und immer den Korridor lang. Zimmer Nummer drei.«
    »Wozu die

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