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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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zwischen die Kiemen.«
     
    Der Rückweg fehlte in Serdjuks Gedächtnis ganz und gar. Erst in dem Raum, von wo sie zu ihrem Ausflug aufgebrochen waren, kam er wieder zur Besinnung. Kawabata und er saßen nebeneinander auf dem Boden und aßen Nudeln aus tiefen Schalen. Obwohl die nächste Flasche schon wieder halb leer war, fühlte Serdjuk sich bemerkenswert nüchtern und in angeregter geistiger Verfassung. Auch Kawabata schien guter Stimmung zu sein, denn er sang leise vor sich hin:
    »Da bringen sie ihn, den ju-hungen Recken, mit einge-he-schla-genem Schäde-heldach.«
    Dabei schwang er die Eßstäbchen im Takt, so daß die kleinen, dünnen Nudelschlangen in alle Richtungen davonsegelten. Einige landeten auf Serdjuk, doch es schien nicht böse gemeint zu sein.
    Als Kawabata seine Schüssel geleert hatte, schob er sie beiseite und wandte sich an Serdjuk.
    »Was meinen Sie«, fing er an, »wenn der Mensch von gefahrvoller Reise nach Hause zurückgekehrt ist, Durst und Hunger gestillt sind – wonach gelüstet es ihn dann?«
    »Keine Ahnung«, sagte Serdjuk. »Bei uns wird dann meistens der Fernseher eingeschaltet.«
    »Bäh!« machte Kawabata. »Wir in Japan produzieren die besten Fernseher der Welt, aber das hindert uns nicht zu erkennen daß der Fernseher nur ein kleines Guckloch in einen riesigen geistigen Müllschlucker ist. Nein, ich dachte jetzt nicht an die Unglücklichen, die ihr Leben lang hypnotisiert auf diesen endlosen Müllstrom starren und darauf warten, daß sie eine bekannte Konservendose entdecken, und das macht sie glücklich. Ich spreche von Menschen, die es wert sind, in einem Gespräch wie dem unseren erwähnt zu werden.«
    Serdjuk hob die Schultern.
    »Da fällt mir nichts ein«, sagte er.
    Kawabatas Augen wurden schmal, er rückte näher an Serdjuk heran, lächelte und sah für einen Moment tatsächlich einem verschlagenen Japaner ähnlich.
    »Wissen Sie denn nicht mehr, vorhin, als wir die Pferde freigelassen hatten und über den Tendsin-Fluß zu den Rashomon-Toren schlenderten und Sie davon sprachen, wie schön es ist, wenn ein anderer, warmer Körper neben einem liegt? Ist es nicht das, wonach Ihre Seele in einem solchen Moment verlangt?«
    Serdjuk zuckte zusammen.
    Ein Schwuler! dachte er. Wieso habe ich das nicht gleich gemerkt?
    Kawabata rückte noch näher.
    »Dies ist doch eines der wenigen natürlichen Gefühle, die der Mensch heutzutage noch haben kann. Na, und außerdem waren wir doch beide einer Meinung, daß Rußland die alchimistische Ehe mit dem Osten braucht, stimmt's? Hab ich recht, he?«
    »Unbedingt«, sagte Serdjuk, der innerlich verkrampfte. »Klar. Ich hab erst gestern wieder dran denken müssen.«
    »Das ist gut«, sagte Kawabata. »Nun ist es aber so, daß das, was ganzen Völkern und Ländern widerfährt, im Leben jedes einzelnen, der dort lebt und dazugehört, symbolisch wiederauftauchen muß. Rußland, das sind ja auch Sie. Und wenn Ihre Worte aufrichtig sind, woran ich selbstverständlich nicht zweifle, dann lassen Sie uns dieses Ritual unverzüglich vollziehen. Bestärken wir sozusagen unsere Worte und Gedanken durch die symbolische Verschmelzung unserer Prinzipien.«
    Kawabata verbeugte sich und zwinkerte ihm zu.
    »Außerdem steht uns ja viel Arbeit miteinander bevor, und nichts schmiedet Männer so sehr zusammen wie …«
    Wieder dasselbe Zwinkern und Lachen. Serdjuk grinste automatisch zurück, während ihm auffiel, daß in Kawabatas Mund ein Zahn fehlte. Das beunruhigte ihn jetzt allerdings kaum, zwei Probleme schienen ihm gravierender: Die AIDS-Gefahr war das eine. Daß er keine sehr frische Unterwäsche anhatte, das andere. Kawabata war aufgestanden und zum Schrank gegangen, kramte darin herum und warf Serdjuk irgendein Stück Stoff zu. Es war ein blaues Mützchen von der Art, wie die Männer auf den kleinen Sakebechern sie trugen. Kawabata holte ein zweites Mützchen hervor, mit dem er den eigenen Kopf bedeckte, bedeutete Serdjuk, er solle seines ebenfalls aufsetzen, und klatschte in die Hände.
    Sogleich schob sich eine der Wandverkleidungen zur Seite, und eine wilde Musik drang zu ihnen herein. Hinter der Wand kam ein kleiner Raum zum Vorschein, eher eine Kammer, in der vier oder fünf Mädchen in langen, bunten Kimonos, mit Musikinstrumenten in der Hand bereitstanden. Erst kam Serdjuk der Gedanke, daß es gar keine Kimonos waren, sondern irgendwelche langen, schlechtsitzenden Kittel mit um die Taille geschlungenen Handtüchern, durch die die Kittel gerafft

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