Buddhas kleiner Finger
Wortspielen fußend. Jetzt sind Sie an der Reihe.«
Serdjuk fühlte sich in der Klemme.
»Was soll ich sagen. Dichten bin ich nicht gewöhnt. Ist nicht so mein Fall. Wozu denn auch Gedichte. Da oben stehn die Sterne!«
»Oho!« rief Kawabata aus. »Prächtig! Ganz großartig! Und wie recht Sie damit haben! Einunddreißig Silben, die soviel wert sind wie ein ganzes Buch!«
Er trat einen Schritt zurück und verbeugte sich zweimal.
»Bloß gut, daß ich als erster gesprochen habe!« sagte er. »Nach Ihnen hätte ich mich nicht mehr getraut! Wo haben Sie denn das Tanka dichten gelernt?«
»Einfach so«, gab Serdjuk ausweichend zur Antwort.
Kawabata hielt ihm die Flasche hin. Serdjuk tat ein paar kräftige Schlucke und reichte sie dem Japaner zurück. Der setzte an, trank in winzigen Schlückchen, die freie Hand auf dem Rücken – darin ließ sich gleichfalls eine sakrale Bedeutung vermuten, er fragte lieber nicht danach. Während Kawabata trank, steckte Serdjuk sich eine Zigarette an. Nach zwei, drei tiefen Zügen kehrte sein Selbstvertrauen zurück, die eben noch gezeigte Verlegenheit war ihm fast schon wieder peinlich.
»Übrigens, was das Pferd angeht«, sagte er, »das fand ich gar nicht zu hoch angebunden. Es ist nur so, daß ich in letzter Zeit immer sehr müde bin und drei Tage hintereinander Rast mache. Deswegen hat mein Pferd lange Zügel. Damit es nicht schon nach einem Tag alles abgeweidet hat.«
Kawabatas Gesichtsausdruck veränderte sich jäh. Nach einer nochmaligen Verbeugung trat er zur Seite und begann sich am Bauch die Jacke aufzuknöpfen.
»Was haben Sie vor?« fragte Serdjuk.
»Ich schäme mich sehr«, sagte Kawabata. »Nach einer solchen Schande kann ich nicht weiterleben.«
Er setzte sich auf den Asphalt, schnürte das Bündel auf und zog das hervorgeholte Schwert blank; ein lila Reflex von der über ihren Köpfen brennenden Neonlaterne huschte die Klinge entlang. Als Serdjuk endlich begriff, was Kawabata zu tun vorhatte, konnte er ihn gerade noch rechtzeitig bei den Armen packen.
»Lassen Sie das bitte«, sagte er mit aufrichtigem Entsetzen. »Wer wird denn diese Lappalien so ernst nehmen!«
»Sie könnten mir verzeihen?« fragte Kawabata mit Rührung in der Stimme und stand auf.
»Ich bitte Sie, vergessen wir das. Ein blödes Mißverständnis. Und außerdem ist Tierliebe doch nichts Schimpfliches, im Gegenteil. Dafür muß man sich nicht schämen!«
Kawabata dachte einen Moment lang nach, und die Falten auf seiner Stirn glätteten sich.
»Sie haben recht«, sagte er. »Es war nicht Besserwisserei, die mich so handeln ließ, sondern Mitgefühl mit der erschöpften Kreatur. Daran ist wirklich nichts Schändliches. Vielleicht habe ich dummes Zeug geredet, aber das Gesicht verloren habe ich deswegen nicht.«
Er steckte das Schwert zurück in die Scheide und griff nach der Flasche, wobei er leicht ins Schwanken geriet.
»Mag es zwischen zwei ehrbaren Männern auch hin und wieder zu kleinen Mißverständnissen kommen – all dies zerfällt zu Staub, sowie sie die scharfen Klingen ihres Verstandes darauf richten. Ist es nicht so?« fragte er, während er die Flasche an Serdjuk weitergab.
Serdjuk trank den Rest aus.
»Klar zerfällt das«, sagte er. »Und wie.«
Kawabata hob den Kopf und schaute sinnend zum Himmel.
»Wozu denn auch Gedichte. Da oben stehn die Sterne!« deklamierte er. »Ach, wie schön. Wissen Sie was, ich möchte diesen wunderbaren Moment am liebsten mit einer symbolischen Geste würdigen. Wollen wir unsere Pferde nicht einfach freilassen? Sollen Sie auf diesen herrlichen Wiesen nach Herzenslust weiden und in den Nächten zu Berge ziehen. Haben sie sich das nicht redlich verdient?«
»Sie sind ein herzensguter Mensch«, sagte Serdjuk.
Unsicheren Schrittes ging Kawabata zum Baum, zog das Schwert und hieb so schnell, daß man es fast nicht sah, gegen den unteren Ast. Er fiel herab auf den Asphalt. Kawabata fuchtelte mit den Armen und brüllte wirres Zeug – Serdjuk verstand, die Pferde sollten verschwinden. Dann kam Kawabata zurück, hob die Flasche, kippte sie um und sah enttäuscht zu, wie die letzten darin verbliebenen Tropfen zu Boden fielen.
»Es wird langsam kalt«, bemerkte Serdjuk, dem ein Blick in die Runde genügte, um zu ahnen, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis sich eine Polizeipatrouille aus der feuchten Moskauer Nachtluft herausschälte. »Wollen wir nicht lieber zurück ins Büro?«
»Klar doch«, sagte Kawabata. »Da stecken wir uns was
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