Buddhas kleiner Finger
Sake bekommt man in Moskau an insgesamt drei Stellen. Was dachten Sie, wozu wir hier ein Büro eingerichtet haben?«
Das soll ein Witz sein! dachte Serdjuk und besah sich die Auslage. Das Sortiment war das übliche – mit Ausnahme einiger in die Batterie eingereihter, undefinierbarer Literflaschen mit Etiketten voller Hieroglyphen.
»Schwarzen Sake«, gab Kawabata durch den Schlitz in den Kiosk durch. »Zwei. Ja.«
Serdjuk bekam eine Flasche ausgehändigt, die er sich in die Jackentasche steckte. Die andere behielt Kawabata.
»Ich hätte noch etwas zu erledigen«, sagte Kawabata. »Geht ganz schnell.«
Sie liefen die Front der Kioske ab und standen gleich darauf vor einer kleinen Blechbude, deren Tür aussah wie ein Sieb – ob die Löcher von Kugeln oder Nägeln oder, wie zumeist, von beidem herrührten, war schwer zu sagen. Vor den zwei Fenstern waren die unvermeidlichen dekorativen Gitter angebracht – ein zum Viertelkreis gebogener Rundstahl in der unteren Ecke und ein Bündel von ihm wegstrebender rostiger Strahlen. Über der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift »Für Haus und Garten«.
Das Innere der Bude unterschied sich nicht von anderen dieser Art: Büchsen mit Emaillefarbe und Ölfirnis auf den Regalen, Fliesenmuster an der Wand, eine extra Auslage voller blitzender Safeschlösser verschiedener Fabrikate. Nur in einer Ecke, auf einer umgestülpten Plastikwanne, stand etwas, was Serdjuk nie zuvor gesehen hatte.
Es handelte sich um einen schwarzglänzenden Brustpanzer mit kleinen goldenen Inkrustationen. Daneben ein gehörnter Helm, der nach unten hin in einen Fächer von Halsschutzplatten auslief, auch er schwarz lackiert. Von der Stirn des Helms blitzte ein silberner fünfzackiger Stern.
Hinter dem Harnisch hingen einige verschieden lange Schwerter sowie ein großer unsymmetrischer Bogen an der Wand.
Während Serdjuk dieses Arsenal betrachtete, war Kawabata in ein leises Gespräch mit dem Verkäufer vertieft. Von irgendwelchen Pfeilen schien die Rede zu sein. Dann bat Kawabata ihn, ein langes Schwert von der Wand zu nehmen, dessen Scheide mit weißen Rhomben geschmückt war. Er zog das Schwert halb heraus, prüfte mit dem Fingernagel den Anschliff (wobei Serdjuk auffiel, wie vorsichtig Kawabata mit der Waffe umging und es vermied, die Klinge mit den Fingerkuppen zu berühren). Serdjuk schien es, als hätte Kawabata seine Anwesenheit völlig vergessen; er beschloß, sich in Erinnerung zu bringen.
»Sagen Sie«, sprach er Kawabata von der Seite an, »was könnte denn dieser Stern auf dem Helm bedeuten? Sicher irgendein Symbol?«
»Oh, ja«, sagte Kawabata, »ein Symbol, und zwar ein uraltes. Es ist eines der Embleme des Oktoberstern-Ordens.«
»Hm«, machte Serdjuk. »Was ist denn das für ein Orden? Haben den die Steinzeitmelkerinnen bekommen?«
Kawabata sah ihn lange an, dann verzog sich sein Mund zu einem verstehenden Lächeln.
»Nein«, sagte er. »Das war kein Orden, den einer irgendwann verliehen bekam. Manche Leute wußten plötzlich, daß sie ihn nun tragen durften. Besser gesagt, daß sie ihn schon immer hätten tragen dürfen. Das war alles.«
»Und was bezweckt er?«
»Es gibt nichts, was er bezwecken könnte.«
»Idioten gibt's«, sagte Serdjuk voller Mitgefühl.
Harsch ließ Kawabata das Schwert in die Scheide rasseln Peinlichkeit breitete sich aus.
»Sie sind wirklich ein Scherzbold«, sagte Serdjuk, der instinktiv spürte, daß es etwas zu bereinigen gab. »Da könnte einer ja gleich mit dem Rotbannerorden kommen.«
»Von einem solchen Orden habe ich noch nichts gehört«, versetzte Kawabata. »Einen Orden der gelben Flagge gibt es tatsächlich, aber das ist etwas ganz anderes. Und wieso meinen Sie, daß ich ein Scherzbold bin? Ich scherze selten. Und wenn, dann pflege ich es mit einem lautlosen Lachen anzukündigen.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich etwas Falsches gesagt habe«, sagte Serdjuk. »Ich bin einfach betrunken.«
Kawabata zuckte die Achseln und gab dem Verkäufer das Schwert zurück.
»Wollen Sie es haben?« fragte der Verkäufer.
»Nicht dieses«, sagte Kawabata. »Packen Sie mir das dort ein, das kleine.«
Während Kawabata noch am Bezahlen war, trat Serdjuk hinaus auf die Straße. Er hatte das schale Gefühl, eine nicht wiedergutzumachende Dummheit begangen zu haben; ein Blick hinauf zum Himmel, an dem schon die taufrischen Frühlingssterne standen, beschwichtigte ihn jedoch ein wenig. Noch einmal fielen ihm die steifen Gittersonnenstrahlen vor den
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