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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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wurden und wie Kimonos aussahen – aber dann entschied er, daß solche Kittel eben Kimono hießen. Lächelnd, die Köpfe unentwegt von einer Seite zur anderen schiebend, spielten die Mädchen ihre Musik – eine hatte eine Balalaika, eine andere schlug mit buntlackierten russischen Holzlöffeln aus der Palecher Werkstatt den Takt, und die beiden übrigen spielten auf kleinen Plastikharmonikas, die gräßliche, durch Mark und Bein gehende Töne von sich gaben – was vollkommen normal war, denn diese Harmonikas wurden nicht dazu hergestellt, daß jemand auf ihnen spielte, sondern ausschließlich zu dem Zweck, daß Kindergartengruppen auf sonntäglichen Schauvorführungen Glück und Geborgenheit demonstrieren konnten.
    Das Lächeln der Mädchen schien etwas gequält und das Rouge auf ihren Wangen zu dick aufgetragen. Ihre Gesichtszüge waren auch nicht sehr japanisch – normale russische Gesichter, nicht einmal besonders schön. Eines der Mädchen war Serdjuks ehemaliger Mitstudentin Mascha wie aus dem Gesicht geschnitten.
    »Die Frau, mein lieber Semjon«, sagte Kawabata versonnen, »ist durchaus nicht geschaffen, um uns zu verderben. In jenem göttlichen Augenblick, da uns ihr Leib umschließt, werden wir gleichsam in jenes selige Land entführt, aus dem wir einmal kamen und in das wir nach dem Tode wieder abtreten werden. Ich liebe die Frauen und schäme mich nicht, es zuzugeben. Und jedesmal, wenn ich mit einer von ihnen verschmelze, ist es mir …«
    Der Satz war noch nicht zu Ende gesprochen, als Kawabata erneut in die Hände klatschte – und die Mädchen kamen, tänzelnd und mit starren Blicken, in geschlossener Formation auf Serdjuk zu.
     
    »… die sechste Linie, die fünfte Linie, die vierte Linie, und schon wenden sich unsere Pferde nach links, und aus dem Nebel steigt der ersehnte Sudsaku-Palast«, sagte Kawabata, während er sich die Hosen zuknöpfte und ihn aufmerksam ansah.
    Serdjuk hob den Kopf vom Kissen. Anscheinend hatte er ein paar Minuten geschlafen, Kawabata war mitten in einer Geschichte, an deren Anfang sich Serdjuk nicht erinnern konnte.
    Er sah an sich herunter. Außer dem alten, verwaschenen Shirt mit den olympischen Ringen hatte er nichts am Leib; die restlichen Kleidungsstücke lagen verstreut im Raum. Die Mädchen, halbnackt und etwas aus der Fasson, lungerten träge in einer Ecke herum, wo der Wasserkocher vor sich hin brodelte. Serdjuk sprang auf und zog sich hastig an.
    »Dann, schon am linken Palastflügel, halten wir uns rechts«, fuhr Kawabata fort, »und endlich kommen die großen Tore auf uns zu, die Lichtspendenden … An der Stelle nun hängt alles davon ab, welcher poetischen Stimmung Ihre Seele in diesem Moment am meisten zuneigt. Ist Ihre Gemütslage schlicht und heiter, reiten Sie geradeaus. Sind Ihre Gedanken allem Irdischen abhold, halten Sie sich nach links, und vor Ihnen liegt das Tor zum Ewigen Frieden. Sind Sie aber jung, verwegen, und Ihre Seele will genießen, wenden Sie sich nach rechts und passieren das Tor zu den Anhaltenden Freuden.«
    Serdjuk fröstelte unter Kawabatas unverwandtem Blick; er fuhr in Hose, Hemd und Jackett, wollte sich auch den Schlips um den Hals binden, kam mit dem Knoten nicht zurecht, ließ es sein, stopfte sich den Schlips in die Tasche.
    »Dann aber«, Kawabata hob triumphierend den Zeigefinger (und war so von seiner eigenen Rede mitgerissen, daß es, wie Serdjuk merkte, keinen Grund gab, sich zu schämen oder übermäßig zu beeilen), »stehen Sie, gleich durch welches Tor Sie in den Kaiserpalast eingeritten sind, allemal auf demselben großen Hof! Denken Sie nur, welch Offenbarung darin liegt für den, der die Sprache der Gleichnisse zu lesen weiß! Welchen Weg Ihr Herz auch einschlug, welchen Kurs Ihre Seele nahm, immer kommen Sie am Ende zum gleichen Punkt. Erinnern Sie sich, wie es heißt? Alle Dinge kehren sich zum selben, und dasselbe kehrt – na? Wohin?«
    Serdjuk riß den Blick vom Fußboden los.
    »Sagen Sie doch, wohin kehrt dasselbe?« fragte Kawabata noch einmal, und seine Augen verzogen sich zu Schlitzen.
    »Nach Hause«, erwiderte Serdjuk matt.
    »Oh«, freute sich Kawabata, »geistreich und präzise wie immer. Und für die wenigen Reiter, die zum Verständnis dieser Wahrheit vorzudringen wußten, blühen auf dem ersten Hof des Kaiserpalastes Pomeranze und … Womit würden Sie die Pomeranze in einen Topf pflanzen?«
    Serdjuk stöhnte. An japanischen Pflanzen kannte er nur eine einzige.
    »Wie hieß das Ding noch mal?

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