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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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sie ausgesucht. Sieben, die Zahl, die niemandem geheuer war. Die Buben drängten in die Kirchgasse, neben ihr her, die Rätschen drehten sich, schnurrten und krachten ins Ohr. In einem Hof schauten ein paar Mädchen neugierig zum Tor heraus, stellten sich aber gleich wieder zu ihrem Ringelspiel auf, sangen:
    Mariechen saß auf einem Stein,
    Sie kämmte sich ihr krauses Haar.
    Und als sie damit fertig war,
    Da fing sie an zu weinen.
    Minna hatte seine Hand erst gespürt, als sie deren Wärme durch das Kleid fühlte, auf ihrem Rücken. Jean stand dicht hinter ihr, zog die Hand zurück. Minna sah über ihre Schulter. Lächelte er? Die Buben waren vorbeigezogen. Sein Lächeln war ein anderes als früher.
    Jean?, sagte sie.
    Jetzt verstanden sie auch das Ringelspiel wieder:
    Da kam ihr Bruder Karl zu ihr:
    »Mariechen, warum weinest du?«
    »Ach, weil ich nun muss sterben.«
    »Ach, warum musst du sterben?«
    »Weil ich den Vater nicht gehört.«
    Jean sagte: Bonjour, Minna.
    Die Kinder sangen:
    Da zog er aus der Tasche
    Ein kleines, kleines Messerlein.
    Und stach’s ihr in ihr Herz hinein.
    Mariechen war ein Engelein,
    Der Karl, der war ein Bengelein.
    Zu Ostern fliegen die Glocken nach Rom, erzählen die Katholischen ihren Kindern, sagte Jean.
    Ja, sagte Minna. Sie musste hinaufschauen, um seine Augen zu sehen, so groß war er nun. Deine Hand, Jean, und ihre Stimme killerte, als wäre es ein lustiges Kinderspiel, warum legst du denn deine Hand auf meinen Rücken?
    Jeans Lippen zogen sich zurück, wollten keine Antwort geben. Seine Zunge streifte kurz über den trockenen Mund. Hatte seine Schulter leicht gezuckt?
    Weil … weil ich einmal mit dir tanzen möchte. Das Ringelspiel war grad so schön … und da wollte ich …
    Aber, Jean! Noch ein heiteres Lachen gelang ihr, dann starb es ab. Wir sind doch keine Kinder mehr.
    Ja, aber nach Ostern darf wieder getanzt werden, und es gibt wieder Feste. Da könnten wir richtig tanzen.
    Einen Schritt wich sie zurück, weil sie dorthin musste, die Kirchgasse hoch. Rückwärts, um den Jean noch anschauen zu können, ging sie. Seine Hand! Was er da sagte, meinte nicht nur das Tanzen. Minna wusste es doch, und was er gerne an ihr gefühlt hätte, war das, was sie fühlte, wenn sie abends oder morgens im Bett lag, ihre Hände auf ihre Brüste legte, auf ihren Bauch und zwischen ihre Beine. Als ob sie den Wunsch, mit ihm zu tanzen – richtig zu tanzen –, seine Hände um ihre Taille zu spüren, kleiner machen könnte, ging sie weg von ihm.
    Ich darf noch nicht tanzen gehen, rief sie, das Gesicht schon umgewandt, die Kirchgasse hoch, zum Pfarrhaus.
    Ach, warum musst du sterben?, waren die Mädchen zu hören.
    Weil ich den Vater nicht gehört. – Weil ich den Vater nicht gehört.
    ***
    Es war der Vater, der es zuerst erzählte, dann die Mutter, und im Gesicht der Madame Rauscher konnte es Minna ohne Worte herauslesen. Alles würde anders werden. Die Rauschers gingen nach Waldersbach. Rauscher sollte dort Vikar werden. Oberlin war krank. Seine Tochter wollte ihn pflegen.
    Im November 1825 zogen sie fort. Drei Tage nach Minnas fünfzehntem Geburtstag. Friedrich war nicht dabei gewesen. Weit weg war er jetzt. Da lohne sich sein Kommen nicht, sagte Madame Rauscher. Minna wollte etwas sagen und fand kein Wort dazu, sah den schönen Mund Friedrichs undeutlich vor sich. Der November hatte sich um die kleinsten Kleinigkeiten des Lebens gelegt,machte alles nebeldumpf, tief verhangen, wie meist um ihren Geburtstag, und der Sinn zur Heiterkeit war abgestorben. Dieses Jahr war ihr Geburtstag fast untergegangen. Die Mutter hatte aber daran gedacht, sie geküsst, ihr einen Kuchen gebacken, und die Magd saß mit ihnen am Tisch. Der Vater hatte keine Zeit. Gespräche mit den Pastoren der umliegenden Gemeinden waren notwendig. Alles würde anders werden.
    Beim Abfüllen des Mostes schaute Minna zu, wie die Mutter den Trichter hielt, die Magd vorsichtig die großen Bouteillen vom Tisch kippte und der trübe Apfelwein in die Flaschen floss. Das leise Plätschern erfüllte die ganze Küche, die kalt war. Warum froren die anderen nicht? Minna rieb sich die Hände, sie wurden aber nicht warm.
    Wenn ihr nicht gut sei, solle sie sich hinlegen, sagte die Mutter oft. Aber sie fragte Minna nicht, warum es ihr nicht gutginge. Für die Mutter wurde die Tochter erwachsen, da geht es einem Mädchen oft schlecht, und die Tage waren auch schmerzhafte Tage.
    Aber das vergeht, Minna, glaub mir, eines Tages merkt man

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