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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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es gar nicht mehr.
    Dabei waren es schon fast zwei Jahre, seit sie den ersten Regelfluss hatte, und sie meinte, die Schmerzen wollten nie vergehen. Eigentlich war ihr, als habe sich der Schmerz vom Leib in den Kopf gesetzt, hämmerte jetzt dort leise, tückisch, machte alles leer im Kopf, das war ein neuer Schmerz.
    Minna bügelte die Hemden, die Tischtücher, die Servietten, polierte die Gläser, füllte das kristallene Tintenfässchen des Vaters nach, spielte mit dem Federmesser,setzte die Spitze des zierlichen Messerchens auf eine Fingerkuppe und drückte sie fester hinein. Zunächst blieb nur ein roter Punkt, aber etwas schräger gesetzt, schnitt die Spitze in die Haut, und ein winziger Blutstropfen kroch hervor. Der kleine Jacques-Jules hatte es beobachtet. Er tippelte davon. Minna war es gleich. Es war ihr so vieles gleich.
    Dass ihr die Predigten ihres Vaters gleichgültig geworden waren, hatte sie zunächst nicht bemerkt. Der Vater fragte sie aber, warum sie beständig auf ihre Hände, auf die Bank vor sich starre, wo denn ihr Blick geblieben sei?
    Im Innern, wollte sie sagen, aber das konnte man dem Vater nicht sagen, dann würde er weiterfragen, wo innen und was sie dort sähe. Und er würde vom Herzen und von der Seele sprechen, um sie aufzuheitern. Sie wollte aber nicht heiter sein. Dass ihr dann auch die Weihnachtspredigt so nichtig vorkam, tat ihr leid. Wenn die Predigten, die Worte des Vaters, nicht mehr zu ihr kamen, dann würde sich wohl auch Gott von ihr entfernen.
    Und dieser Gedanke machte sie ängstlich, diese Angst lag wie dumpfe Starre in ihr, und wer starr ist, ist wohl auch stur – und böse. Ach, weil ich den Vater nicht gehört …
    Den Kleinkindern fehlte die Lehrerin, die Leute wussten nicht, zu wem sie die Kinder schicken sollten.
    Desch Madmosell’ Wilhelmine, sagten sie, die solle es tun, für eine Weile. Oder die Frau Pfarrerin Jaeglé.
    Die Mutter lehnte ab, sie würden beide Oberlins Ansprüchen nicht genügen.
    Aber die Kinder brauchen jemand!
    Die Minna muss noch so viel lernen.
    Nur für ein paar Stunden, sagten da die Frauen, die sich mittlerweile bis in die Hausdiele gedrängt hatten, mit ihren erhobenen Armen die Luft eng und schwer machten. Da wollte Minna schon sagen, ja, sie möchte es probieren, ein paar Stunden in der Woche. Sie wollte sich in diese Arbeit stürzen, zwischen die kleinen Kinder, um sich zu retten. Die Mutter und die Frauen redeten aufeinander ein, und Minnas Mund öffnete sich, öffnete sich noch einmal, und die Stimmen hallten Adieus in die Diele, und die Tür ging auf, die Frauen verschwanden, hinterließen einen kalten Lufthauch, die Tür schepperte beim Schließen.
    Ja, ich habe noch zu lernen, dachte sie, und der Gedanke duckte sich mit ihr in ihre Kammer. Das dicke Federbett wölbte sich wie eine Haube über sie. Sie schlief, und jeden Morgen wachte sie wieder auf, betete am Tisch mit den Eltern, dann in der Kirche, spielte mit Jacques-Jules, zeigte ihm Bilderbögen, erzählte ihm von der Größe der Welt.
    Mit der Magd putzte sie die Lichtscheren, silbernen Brieföffner, Zuckerzangen und Teelöffelchen, schnitt Gänsekiele zurecht. Die Zeit vor dem Frühjahr war bestimmt für solche Arbeiten. Die Magd sortierte die Kiele, die Minna geschnitten hatte, nach Größe, war ganz vorsichtig damit, sie selbst konnte nicht schreiben und fragte dann Minna, ob sie denn dem Friedrich Briefe schreibe.
    Friedrich? Einen Augenblick sah sich Minna mit ihm unter einem Baum sitzen, jeder ein Buch in der Hand.Wie hatte sie sich gegrämt, wenn sie sich an die Form seiner Lippen nicht erinnern konnte. Jetzt sah sie sein Gesicht deutlich, denn sie suchte es nicht mehr, und sie sagte: Nein, ich habe ihm nie Briefe geschrieben.
    Da hielt die Magd den Kopf gesenkt, ach so, sagte sie, hielt die Federkiele wie ein kostbares Gut und ging aus dem Zimmer.
    So war es. Es gab keinen Friedrich mehr, nur noch der Name existierte im Kopf. Einer von vielen Namen, und auch Jean war nur noch ein Name, und beide hatten sie Augen wie andere Menschen.
    Namen und Augen! Es waren Hunderte von Namen und Augenpaaren um sie. Ihr Vater hatte recht, wenn er sagte, die Welt sei nicht überschaubar. Dieses ganze Bündel von Regungen und Gesten der Menschen um sie herum. Sie hielt sich die Ohren zu, wie um alles fernzuhalten, vor sich ein Buch aufgeschlagen, aber sie las nicht.
    Ihr kamen die Erzählungen ihres Vaters in den Sinn, von seinen Reisen in die Schweiz, nach Italien, von seiner Seereise

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