Büchners Braut: Roman (German Edition)
bitte!, zischte Minna. Aus dem Tal schwoll Glockengeläut an, aus jeder Ortschaft, nacheinander, lauter und lauter wurde es. Theo hob sein Kinn, näherte sich Minnas Ohr und sagte: Sorry, but I just thought: his widow!
Schnell steckte er sein Kinn wieder in den Kragen. Minna fühlte ein Kribbeln im Halse aufsteigen, wie es in ihrer Kehle juckte, sie zum Hüpfen brachte. Schnell hackte sie ihrem Bruder ins Ohr: Theo, you ugly, silly boy! Aber es half ihr kaum, und ein künstliches Husten sollte sie retten, und sie skandierte für sich: Ich bin traurig! Traurig! Traurig! Jetzt wird nicht gelacht! Oh, Theo!
Unter dem aufschallenden Glockengeläut fing dieMenschenmasse an sich zu bewegen, unendlich langsam, mühsam, Minna und Theo konnten den Kopf wieder heben, Minna rot vom Husten, Theo mit Tränen in den Wimpern. Der mahnende Blick der Mutter wurde entspannter.
Man ging nicht, man wandelte, die ganze Woge von Trauermenschen verließ wandelnd den Ort, Richtung Fouday hinunter, am Wald entlang, ein Kinderchor fing an, Choräle zu singen, den ganzen Weg, eine halbe Stunde lang dauerte er, der Alte mit dem Kreuz vorweg, das für Oberlins Grab bestimmt war, und als die Ersten unten in Fouday ankamen, waren die Letzten noch oben in Waldersbach. Der Menschentaumel drängte in Fouday ein, wurde undurchdringliches Dickicht. An der Kirche hatten sich vor der Treppe katholische Frauen, tiefschwarz gekleidet, kniend in Gebete vertieft, als würde man einen künftigen Heiligen zu Grabe tragen. Die Menge öffnete für den Sarg eine respektvolle Schneise, bis er in der Kirche auf den Altarstufen abgestellt wurde. Auch dort zwei katholische Geistliche, die Jaeglé und Braunwald zur Seite standen. Kein Neid, keine Zwietracht, als begehe die Welt den Tag der Brüderlichkeit und beerdige ihn gleichzeitig. Morgen wartete das gewohnte Leben auf alle.
Im drängenden Strudel hatte Minna Louis-Théodore und die Mutter verloren. Schultern, Haare, Kopftücher, Geruch nach Stall, Haut und Talg, Tabak und Veilchen. Es war, als würden die Schultern der anderen Minna halten. Die Hitze! Die Menschen! Jetzt nicht sinken, nur noch etwas Kraft, bitte! Der nächste Tag musste doch kommen, an dem sie wieder atmen konnte als einzelner Mensch.
Aus den geöffneten Türen der Kirche drangen die Worte: »Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen.« Ihr Vater bestieg wohl die Kanzel, die von seiner Leibesfülle besetzt wurde, und seine Stimme würde das Knarren des Holzes übertönen.
Die Rauschers hatte sie aus dem Blick verloren. Friedrich war weit weg. Wenigstens Theo hielt sich an die Naturwissenschaften. Das stimmte sie etwas glücklicher.
***
Da waren der dumpfe Gram der Mutter und die bedauernden Worte der Leute.
Oh, da wird unser Pfarrer Jäckle gar nit mehr die Kirche für sich habe. – Nein, noch dieses Jahr würde er gehen? Dabei wäre nächstes Jahr die Kirche der Katholischen fertig, dann hätte er die Kirche für seine Gemeinde alleine haben können. Freude für den Amtsnachfolger. Jaeglé ging nach Straßburg.
Die Pfarrkollegen aus der ganzen Umgegend besuchten den Herrn Vater. Woche um Woche saßen sie zusammen in der Stube, redeten, verließen mit ernsten und müden Gesichtern das Haus.
Eine neue Pfarre. Jetzt. Wieder ein Umzug. Ich bin zu alt dafür, sagte die Mutter, aber nur zu Minna und der Magd.
Die Magd jammerte, hatte Angst vor der großen Stadt. Minna nicht, und wenn sie auch danach gegraben hätte, in ihrer Vorstellung von Straßburg fand sich keine Angst. Nur Erwartungen und süße Unruhe. Ein großes Pfarrhaus, neue Gesichter, Studenten und Schüler, die Gespräche ins Haus trugen, Wissen und Neuigkeiten.Die Straßburger Verwandten waren wieder näher. Die Tante Catharina in der Rue de la Chaîne, wo Minna und Theo geboren worden waren.
Freust du dich nicht auf die Verwandten, Maman?
Ich bin ein Landmensch, Minna.
Sie wickelte dennoch hurtig das Porzellan in Papier ein, ganz dick, und drückte es fest, als würde sie ihr empfindliches Herz einpacken.
Zwei Brüder des Vaters hatten Töchter des Schankwirts Müller geheiratet, und der eine, Jean Daniel, war jetzt selbst der Schankwirt vom »Blauen Bauer«.
Dorthin wird mein erster Weg führen, sagte der Vater. Und das Bier wird schmecken, Arm in Arm mit dem Bruder!
Der andere, Jean Michel, lebte als Postillion im »Cour du Corbeau« wie ehedem ihr Vater. Dort, wo der Geruch von Leder, Reifenschmiere, Heu und Pferdemist hauste. Der
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