Büchners Braut: Roman (German Edition)
schien nicht böse zu sein. Es ist nur, dass ich es leid bin, darüber nachzudenken, Emma. Hier, nehmen Sie Brot für die Vögel. Bieten oder vermitteln Sie mir bitte keine Anstellungen.
Und sie warfen beide mit Pauline unter Gelächter die Krumen um sich, über ihnen sammelte sich eine Schar von weißgrauen kreischenden Federleibern. Pauline jauchzte, und unvermittelt rief Minna: Beten Sie?
Beten? Wir müssen ja beten, Minna, für unsere Männer.
Damals hatte ich geglaubt, ich könnte nicht mehr beten. George war fort. Der Himmel war leer. Gott hättedoch die Sonne ausblasen müssen, warum sollte ich noch beten? Zwar hatte ich an einen Freund geschrieben, ich hätte gebetet, Gott möge mich nur noch so lange leben lassen wie meinen alten Vater. Aber das Leben hatte andere Pläne mit mir. Oder gibt doch Gott den Plan vor? Egal wie. Es ist mir herzlich egal.
Sollte sie noch weiter gesprochen haben, hörte es Emma nicht genau, es ging im Lachen und Kreischen der Möwen unter.
Winter 1831, Straßburg
Eine Woche lebte Büchner bei Jaeglés. Eine Woche Straßburg, eine Woche in einer neuen Welt. Das Haus in der Rue St.-Guillaume, ein Ort der Ruhe, der Mahlzeiten, der Familie.
Der kleine Platz davor mit dem schmalen Brunnenstein und der Pumpe, die zum Waschen dienten, lag verwaist, Blätter und von Herbststürmen gebrochene Äste darum. Die Straßen wurden ihm jeden Tag vertrauter, wurden Verbündete auf den Wegen in die Cafés und Gasthäuser. Sein Schritt wurde verwegener, sein Blick genauer.
Noch hatte das Semester nicht begonnen. Aber morgen, Montag, am 7. November, würden die Feierlichkeiten zur Eröffnung stattfinden.
Bei Jaeglés war fast täglich mittags Besuch im Haus, ebenso oft gab es nachmittags Gäste. Sonntags wurde in drei einfachen Gängen gegessen. Suppe, Fleisch oder Fisch, als Dessert jetzt im Herbst immer Äpfel oder Birnen. Zu Kaffee und Tee später Sandkuchen, Guglhupf oder Marmorkuchen, in solchen Mengen gebacken, dass er noch zwei bis drei Tage lang zum Frühstück in den Milchkaffee getunkt werden konnte. Sonst gab es Butterbrot zum Frühstück, dicke helle Scheiben von französischer Art.
Am Tisch hatte Minna morgens neben Vater, Bruder und Büchner noch den kleinen Philipp Lucius, einen Dreizehnjährigen, der ebenfalls bei Jaeglés Logis hatteund das protestantische Gymnasium besuchte. Er durfte rechts neben Minna sitzen, die ihren Platz am Kopfende des Tisches hatte.
Minna nannte den Jungen Philipp, alle anderen sagten Lucius. Philipp liebte den Platz neben Minna.
Welchen Kuchen soll es heute Nachmittag geben? Minna fragte Büchner und Lucius, aber Louis-Théodore antwortete: Marmorkuchen! Merci und danke, liebe Schwester.
Büchner biss ein großes Stück Brot ab, um Louis nicht widersprechen zu müssen. Er mochte keinen Kakao im Kuchen.
Sie schaute ihn direkt an. Lieber Büchner, und Sie?
Darauf hob er hilflos, während er kaute, die Hände und deutete an, dass er sich der Meinung enthielt.
Lucius sagte: Wenn’s erlaubt ist, Mademoiselle Jaeglé, einen mit Streuseln obendrauf.
Gut, sagte Minna, Streusel obendrauf.
***
War Georg Eugène schon zuvor begegnet? Außerhalb des Hauses Jaeglé? Bei den ersten Versuchen, die Akademie in Augenschein zu nehmen, eventuell. Es musste überprüft werden, ob alle Papiere vollständig waren. Geburtsurkunde, Sittenzeugnis, die Erlaubnis der Eltern, hier studieren zu dürfen. Alles war vorhanden. Die Akademie freundlich, das Bureau hell. Am 3. November ließ er sich ins »Registre servant à l’inscription des étudiants de la faculté de médecine« eintragen. Aber seine Sicherheitskarte fehlte.
»Carte de sûreté«. Also morgen noch auf in die Präfektur.
Eugène Boeckel trieb die Neugierde in die Akademie. Er wollte die Luft seiner neuen Fakultät einatmen.
Hier, bester Mann, werde ich demnächst studieren. Habe der Theologie den Rücken gekehrt.
Gratulation, Monsieur. Die bessere Wahl.
Sie auch – hier in der Medizinischen?
So ist es. Sie traten auf die Straße.
Mein Quartier ist gleich zwei Straßen weiter, bei Pastor Jaeglé.
Bei Jaeglé wohnen Sie? Guter Mann, ich würde Sie am liebsten umarmen, denn seien Sie sicher, bald werden wir es tun. Bei Jaeglé! Der beste Freund meines Vaters! Wir werden uns dort begegnen, seien Sie gewiss.
Minna ist eine reizende Gastgeberin.
Minna – oh, oui, oui!
Jetzt zog Eugène die Augenbrauen prüfend hoch, warf den ersten aufmerksamen Blick in das Gesicht des Fremden.
Sie wollten sich
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