Büchners Braut: Roman (German Edition)
führen. Erst in Paris und nun in Zürich, es ist kein schlechtes Leben, aber es bietet sich keine Aussicht auf eine bleibende Ruhe, ein friedliches Heim. Herwegh kämpft ständig. Wir werden wohl wieder nach Paris gehen müssen.
Dies alles war dem Leben der Schulzens ähnlich, und Minnas wäre wohl ebenso verlaufen. Hätte Georg mit ihr in Zürich bleiben können? Sicher hätte er weiter geschrieben, den Kampf für die Gerechtigkeit, den auch Emma so nannte, weiter verfolgt.
Emma, ich denke, wir hätten uns auch unter anderen Umständen – wenn es das Schicksal mir erlaubt hätte – mit Büchner zusammen kennengelernt.
Sie fühlte Emmas Hand sich fester um ihren Arm legen, hörte sie sagen: Da bin ich ganz gewiss, liebe Minna.
Minna sah Georg in Straßburg in der guten Stube auf und ab gehen, die Hände durchs wirre Haar fahren, er hatte gesagt: Wir sind von Natur aus gleich, restlos. Dies fordert eine Solidarität unter den Menschen. Brüderlichkeit!
Minna hatte am Sekretär gesessen und geschrieben, die Synopse, die er ihr erklärt und aufgetragen hatte, zur Geschichte der griechischen Philosophie, aus diesem dicken Buch von Tennemann hatte sie die Texte übertragen in ihrer exakten, sauberen Schrift. Sie saß täglich daran, und wenn Georg kam, erzählte er von seiner Arbeit am Spinoza, dass die Natur und Gott eines seien, bis er regelrecht erhitzt war. Ihr Vater stimmte zufrieden zu, und sie sprachen von der spinozistischen Rechtslehre, ja, und auch hieraus sei es zu beweisen: Wenn ein Staat die menschliche Natur missbrauche, sei es das kleinere Übel, diesen Staat zu zerstören! Wer sein Volk missbraucht, begeht Unrecht gegen Gott!
Zwischen den murmelnden Stimmen im Café hörte sie wieder Emma.
Minna? Minna, was ist? Der Verlust, nicht wahr? Auch nach Jahren ist er noch nicht überwunden.
Wie auch? Mein ganzes zukünftiges Leben war dahin. Und kein anderer Mann hat mir genügt.
Das will ich gerne glauben. Es gibt wenige solche Geister.
Minna nahm ein Stück Gebäck, ohne es zu essen, und lachte. Nun, mein Anspruch, er war zu hoch. Und jetzt sitze ich hier als Gouvernante. Haben Sie seinen »Lenz« gelesen, Emma?
Aber ja, die Schulzens rieten uns, alles von Büchner zu lesen, was greifbar war. So hatten wir auch Gutzkows Druck, und mein Mann arbeitet ja gelegentlich mit ihm zusammen.
Dieser Verleger, Gutzkow, nun auch dieser Name hier, auch er tauchte wieder auf, Gutzkow, dem sie Abschriften von Georgs Texten gab. Minna kaute das mürbe Gebäck, und Emma sprach weiter.
Mein Mann sagte, Büchner habe die Sprache einer neuen Zeit. Er wisse niemanden, der an diese Sprache heranreiche, ja, sie auch nur auf Anhieb erfassen könnte.
Es fiel Minna nicht leicht, jemanden über Georgs Sprache reden zu hören. Er glaubte sich so oft dem Wahnsinn nahe, Lenz so ähnlich. Sie hatte den »Danton« verstanden, sie fand in »Leonce und Lena« seine Ironie, seinen Esprit, seine Liebe, seinen Spott. Aber den »Lenz« musste sie mehrmals lesen, sie setzte Scheuklappen auf, denn in einigen Zügen schien Georg von sich geschrieben zu haben. – »Alles finster, nichts, er war sich selbst ein Traum, einzelne Gedanken huschten auf, er hielt sie fest. – Auch fürchtete er sich vor sich selbst in der Einsamkeit. – Er wühlte jetzt in sich. – Dann sank er ganz in sich und wühlte all seinen Willen auf einen Punkt.«
Minna besann sich. Es gab ja so wenige Menschen, mit denen sie über Georgs Schriften reden konnte.
Es war mir, als müsste er Lenz gekannt haben. Aber dabei hatte er in vielen Regungen nur sich betrachtet. Wie nah er an unserem Leben schrieb, war mir bewusst, als er auch eine Wendung einband, die er über mich sagte: Wenn ich so durchs Zimmer ginge, so halb für mich sänge, und jeder Tritt sei eine Musik, es wäre so eine Glückseligkeit in mir. – Ich war so erschrocken. Vor seinem Tod habe ich den »Lenz« nicht richtig lesen können. Nach seinem Tod war es zu spät.
Emma bemerkte Minnas Unruhe.
Pauline, sagte Minna, sie soll nicht auf mich warten müssen. Es ist Zeit.
Im Gehen verwünschte Minna ihre Pflichten, sie wollte weiter mit Emma reden. Seltsam, dass sich dem zum Trotz ihr Schritt beschleunigte. Aber dieses Stück Weg blieb ja noch, und Minna fragte: Die Stelle im »Lenz«, Emma, von dem Triumph-Gesang der Hölle? Erinnern Sie sich?
Ja, ich glaube, ja, ein ungeheures Bild der Auflehnung gegen Gott.
Ich las auch diese Stelle erst nach Büchners Tod mit dem rechten Blick, aber just
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