Büchners Braut: Roman (German Edition)
diese Worte rissen in mir etwas auf: »In seiner Brust war ein Triumph-Gesang der Hölle. Der Wind klang wie ein Titanenlied, es war ihm, als könne er eine ungeheure Faust hinauf in den Himmel ballen und Gott herbeireißen und zwischen seinen Wolken schleifen.« – Wie es so dastand – da habe ich diesen Triumphgesang in mir aufleben lassen, ja, in mir! Hatte ich ihn doch unterdrückt, nicht singen lassen, sondern in der Brust begraben. Ich wollte die Hölle singen hören: Er ist mir genommen worden! Mir! Mein George!
Minna wandte sich ab. Mit einem Schlag Tränen in ihrenAugen. – Mein Gott, warum? – Kein Triumph mehr, kein höllischer. Für Momente, und Emma sah es, für Augenblicke hatte die Wut Minna in die Hölle getrieben.
Sie müssen entschuldigen, es hat mich etwas mitgenommen, Menschen zu begegnen, die von Büchner reden.
Nein, entschuldigen Sie sich nicht, Minna. Lassen Sie uns noch etwas gemeinsam gehen. Damit bot sie Minna den Arm an, die jedoch tief einatmete und mit fester Stimme gegen die Möwenschreie sagte: Nein, lassen Sie, es geht schon.
Als Emma plötzlich rief: Oh, sehen Sie, Minna, da kommt noch Herwegh!, war Minna momentan verwirrt.
Schön, dass ihr euch noch seht, sagte Emma, lachte glücklich.
Herwegh kam in Begleitung. Ein Mann ungefähr seines Alters, wie er mit Schifferfräse und Oberlippenbart, elegant und gut gekleidet.
Herr Friedrich Engels aus Manchester, stellte Emma vor. Ich erzählte Ihnen ja schon, er setzt sich für die Sache der Arbeiter in England ein. – Mademoiselle Jaeglé, die Braut des verstorbenen Büchner.
Mit unverwandt auf Minnas Gesicht gerichtetem Blick beugte Engels sich tief über ihre dargebotene Hand. Mademoiselle, es freut mich herzlich. Freund Herwegh meinte, ich sollte – ja – ich sollte es Ihnen sagen: Die Flugschrift Büchners – ich schließe mich ganz Herwegh an, sie als genial zu bezeichnen: der Aufruf, die Ketten abzuschütteln, zum Aufruhr, der ein heiliges Werk ist, in dieser einmaligen Art geschrieben. Seien Sie gewiss, Ihre Trauer ist auch die unsere. Wir hätten ihn gebraucht.
Die Verwirrung war in Minna noch nicht gewichen. Sie bedankte sich, war aber ganz bei Emmas Worten: die Braut des verstorbenen Büchner. Die Braut. Bin ich das? Immer die Braut?
Wie aufmerksam von Ihnen. Es freut mich von Herzen, jemanden zu treffen, der meinen … der Büchners Schrift … gutheißt.
Eine Windbö stieß Minna an, drängte sie kaum merklich auf Engels zu, der seinen eifrigen Blick von der scheuen, unscheinbaren Gouvernante enttäuscht zurückzog, schließlich auch sich, und Minna hielt ihre Strohhaube ohne große Notwendigkeit dauernd fest, sagte: Emma – Messieurs – ich darf mich verabschieden. Es hat mich sehr, sehr gefreut.
Unter ihren eiligen Schritten knirschte der Sand.
Im Hotel dann ein verlorener Blick aus dem Fenster. Die weißen Flügelspitzen der Möwen zerschnitten die Luft. Pauline stand ihr im Rücken und fragte, wo sie denn gewesen sei.
Ich habe Verwandte meines Verlobten getroffen.
Oh, wohnen die nicht in Darmstadt?
Ach, ich denke, er hat überall Verwandte, wie ich heute feststellte.
***
Sie hatten sich nicht weiter verabredet, aber Emma Herwegh wusste, wo am frühen Abend Minna zu finden war. Nicht weit von ihrem kleinen Hotel entfernt, unterhalb eines Steges ging sie oft mit Pauline noch einmal zum Strand. Emma kam herunter, ließ den Blick streifen, sah Minna und Pauline, die Fangen spielten. Wie Emma rufend weiterging, drehte sich Minna lachendum, wobei im gleichen Moment ihr Strohhut vom Kopf rutschte und an den Bändern über ihren Rücken hing. Die gelösten Haarsträhnen über ihrem Gesicht ließen sie jung und unbeschwert aussehen.
Bevor wir abreisen, wollte ich Sie noch einmal besuchen, sagte Emma. Vom Laufen erhitzt, war Minnas Gesicht gerötet, ihr Atem hektisch, ihre Stimme fröhlich: Das ist gut. Das ist wunderbar.
Aus der mitgebrachten Beuteltasche holte sie eine Handvoll trockenes Brot, reichte es Pauline mit der Aufforderung, doch die Möwen zu füttern. – Kommen Sie, Emma, lassen Sie uns mitgehen. Gleich begann auch Minna, den Möwen die Stückchen hinzuwerfen, die sie im Flug nah vor ihren Köpfen auffingen, und Emma fragte: Wie geht es Ihnen, Minna? Werden Sie weiterhin als Gouvernante arbeiten?
Worauf Minna mit einer entschiedenen Kopfbewegung über die Schulter hinweg sagte: Ich möchte darüber nicht reden.
Verzeihen Sie. Emma blieb zögernd zurück.
Aber nein, kommen Sie. Minna
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