Büchners Braut: Roman (German Edition)
Nun, mit Eugène und Stoeber werde ich wohl zurechtkommen.
Er war froh, die Treppe hinter sich zu haben. Sie gingen den Flur entlang.
Aber wer weiß … ich habe so einen Drang zum Vertrauten. Fremde Menschen machen mich unruhig. Und gebe Gott, dass sie nicht alle Psalmensänger sind und ihren Verstand auch über die Bibel hinaus gebrauchen können.
Minna drehte sich um, zog die Brauen gespielt hoch.
Oh, Sie haben kein Zutrauen in das Theologenstudium?
Nun ja, nein – ich meine nur, meine Erfahrungen – nein, falsch gesagt …
Aber lieber Büchner, nun nicht ausweichen! Also was ist mit Ihren Erfahrungen mit den Geistlichen?
Nicht mit den Geistlichen. Mit denen, die aus Gefälligkeit, aus Langeweile Theologie studieren.
Endlich konnte er das Tablett abstellen.
Danke. Ja, die gibt es. Sie haben recht.
Kurz schaute sie Büchner an, die Hände ineinandergelegt. Wenn sie jetzt weiter reden könnten, sich unterhalten. Aber das Hausmädchen war da.
Lieber Büchner, Sie werden mir erzählen, wie es Ihnen bei den – äh – Psalmensängern, sie flüsterte dieses Wort, gefallen hat? Versprochen?
Oui, Mademoiselle Minna.
Ehrlich? Ich meine, Sie werden Ihre ehrliche Meinung sagen?
Oui, ich werde darauf warten, jemanden zu haben, dem ich ehrlich berichten kann. Wollen Sie dies sein?
Minna blickte kurz über die Schulter zum Mädchen, begann das Tablett abzuräumen. Aber ja, das möchte ich sein. Ich sagte es doch.
Um Georgs Lachen legte sich ein Zucken, das er verfluchte, jetzt, da sie es als höhnisch auslegen konnte. Er strich sich schnell mit der Hand über den Mund, sagte: Gut, und ging aus der Küche.
Minna sah ihm nach. Dieses Gesicht, dieses Lachen. Und was er spricht! Ich soll ihm ein vertrautes Ohr abgeben? Aber der Gedanke tat wohl. Er gibt ihr, einer jungen Frau, sein Vertrauen. Ach was! Er wird ihr einfach erzählen, was die Herren Studiosi alles so daherreden. Auch nicht alles. Gewiss nicht.
Sie wandte sich dem Hausmädchen zu. Es war nicht mehr die gute Magd aus Barr, die noch mit nach Straßburg gekommen war, die war wieder aufs Land gegangen, als auch ihre Mutter gestorben war. Diese hier war auch still, schüchtern, folgsam, sah jetzt gespielt abwesend drein, wollte nichts gehört haben. Sie darf nichtsgehört haben. Dass die Mademoiselle Wilhelmine mit dem Studenten Büchner sich unterhalten will, womöglich unter vier Augen?
Ich muss wieder hinauf, sagte Minna. Zum Abendessen servieren wir die Leberpastete. Es ist noch genügend da? Ja? Es kommen keine weiteren Gäste.
Das Mädchen sagte, sie werde die Pastete aufschneiden. Und später wollten sie abspülen. Sie war Minnas rechte Hand und meist auch ihre linke. Der ganze Haushalt in vier Frauenhänden, in dieser verstümmelten Familie, wie Minna einmal gedacht hatte. Seit drei Jahren. Erst Jacques-Jules, dann die Mutter. Vor drei Tagen hatte sie der Mutter einen kläglichen Rest Astern mit Tannengrün zum Todestag aufs Grab gestellt. Was konnte man schon im November aufs Grab geben?
***
Büchner schrieb Briefe, nach Hause zu den Eltern in Darmstadt oder auch an Freunde. Die Eltern warteten darauf, besonders die Mutter. Aus den ersten Monaten seit seiner Ankunft in Straßburg sind nur zwei Briefe erhalten.
Der erste erzählt von dem Spektakel, als die führenden Generäle des polnischen Aufstands in die Stadt eingezogen waren. Alle waren auf den Straßen. Minna gewiss auch, allein um zuzusehen. Auf allen Gesichtern Begeisterung, selbst wenn man nicht wusste wofür. Es war eher aufregend als ergreifend. Man solidarisierte sich mit den Polen. Die französische Regierung hatte den Polen ihre Hilfe versprochen, aber es blieb bei Worten. Louis-Philippe hatte gekuscht, sich geduckt vor Russland, vor Europa. Kriegerische Stimmung war demGroßbürgertum gerade nicht recht. Kein Bürgerkönig. Ein Bourgeoisiekönig, ein Geldadelkönig, also doch.
Büchner war mit den Studenten gezogen.
An die Familie, im Dezember 1831
Als sich das Gerücht verbreitete, dass Ramorino durch Straßburg reisen würde, eröffneten die Studenten sogleich eine Subskription und beschlossen, ihm mit einer schwarzen Fahne entgegenzuziehen. Endlich traf die Nachricht hier ein, dass Ramorino den Nachmittag mit den Generälen Schneider und Langermann ankommen würde. Wir versammelten uns sogleich in der Akademie; als wir aber durch das Tor ziehen wollten, ließ der Offizier, der von der Regierung Befehl erhalten hatte, uns mit der Fahne nicht passieren zu lassen, die
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