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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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Schriftstücke aus ihrem Sekretär hervor, das »Danton«-Exemplar, »Leonce und Lena« und auch die Arbeit über Spinoza. Sie setzten sich an den Tisch und lasen in Georgs Manuskripten. Minna und Ludwig.
    Seine Handschrift, sinnierte Ludwig, über die Papierbögen gebeugt.
    Ja, so gar nicht für den Leser bestimmt, sagte Minna. Sie lachte. Ich meine, er schrieb und dachte dabei sicher nicht an den Lesenden.
    Ludwig lächelte auch.
    So könnte man es höflich sagen. Ich erinnere mich,dass seine Briefe oft anders geschrieben waren. Sicher aus Höflichkeit den Eltern gegenüber. Und damit wir Geschwister sie lesen konnten. Aber dies hier schien er alles in Eile, im Tempo der Gedanken aufs Papier gebracht zu haben. Wie ein Gehetzter.
    O ja. Minna legte einige Blätter wieder zusammen. Ja, er lebte in Eile und in tausend Gedanken. Er war oft hundert Jahre weg. In Zeiten war er entfernt, nicht in Metern und Meilen. Im Kopf entfernt sein – da ist ein Zeitmaß die Einheit, daher sage ich hundert Jahre entfernt, sich selbst buchstäblich voraus.
    Jetzt lehnte sich Ludwig zurück.
    In Eile. Gewiss! Er war so schnell fort gewesen, damals.
    Die Uhr tickte an der Wand, und Minna raschelte mit den Papieren.
    Ich war erst zehn Jahre alt und hatte noch keinen Begriff von all dem, dem Politischen, meine ich. Die Eltern sprachen davon, die Mutter weinte, der Vater zürnte. Es war ein Sumpf von Worten und Unwissenheit. Dabei wollte ich mit ihm aufs Münster gehen.
    Ludwig dachte zurück, jetzt zuckte das Erinnern: Ja, er war eifersüchtig gewesen. In seiner ganzen zehnjährigen Welt hatte er den Bruder zu ihr flüchten gesehen, zu Minna. Mit langen Schritten hatte er ihn laufen gesehen, auf dieser Flucht, wie die Eltern sagten, zu ihr, dieser Frau, und Georg hatte sie umarmt und geküsst. Davon hatte er schon gehört. Die Liebenden küssen sich wohl. Und liebte der Bruder nun nicht mehr die Mutter, die Geschwister und den Vater? Nach Straßburg war er geflüchtet, und Ludwig hatte ihn nie, nie mehr gesehen.
    Georg war ja dann bei Ihnen, Minna. Beim Fräulein Jäckele, hatte die Mutter gesagt, ist er gut aufgehoben.
    Dies hatte ihn damals schon nicht getröstet, und jetzt sagte er es Minna, damit sie sich freuen konnte. Aber sie freute sich nicht. Wie kann sie sich nicht an dem Zutrauen seiner Mutter freuen?
    Minna wurde ernst.
    Nun, ganz so war es ja nicht. Er lebte nicht weiterhin bei uns im Haus, so wie zuvor im Studium. Er war von da an Flüchtling. Und wir waren ja bereits offiziell verlobt. Sie wissen, wie das ist.
    Ja, ja, die Anstandsregeln, sagte Ludwig, obwohl er es nicht allzu genau wusste. Er sah immer nur Georg, wie er Minna umarmte, und dann schrieb er wieder und arbeitete, sezierte die Fischköpfe und küsste Minna.
    Im Grunde hatten wir nie eine unbeschwerte Zeit miteinander, sagte Minna. Sie trug heute ein helleres Kleid als sonst, was Ludwig irritierte. Sie sah jünger aus. Ihr Haar war dunkel wie je, und nur einzelne Silberfäden zogen sich durch die Frisur.
    Er war hier, bei Ihnen, Minna.
    Wir hatten Sorgen. Und ich hatte wenig Zeit, ich … ich wollte seine Frau werden.
    Ludwig räusperte sich, und Minna dachte, dass er die Gewandtheit seines Bruders im Gespräch noch nicht erreicht habe. Dafür wirkte er ruhiger. Kein Zucken um die Lider, kein stilles Gespräch auf den bewegten Lippen wie bei Georg.
    Georg hatte Ideale, ein großes Bild von Gerechtigkeit. Unsere Eltern mochten das alles nicht so verstehen wie er.
    Die Vorstellung, wie Monarchien in Republiken gewandelt werden sollten, machte ihnen Angst. Das Wort Revolution allein! Die Ideale, denke ich, nicht. Doch da waren die Häftlinge in Friedberg. Georgs Freunde.
    Aber Sie, Minna, Sie hatten ihn doch verstanden? Was machen da die Sorgen aus?
    Ja, Louis, ich habe ihn verstanden und seine Ideale – oder die der Sociétés. Aber ich brauchte lange, zu verstehen, warum man seine eigene Freiheit gefährden muss, um gegen die Unterdrückung anderer zu kämpfen. Ich denke, dieser Gedanke war mir gräulich. Meinen Mann wollte ich nicht gefährdet sehen, genauso wie die Eltern nicht ihren Sohn.
    Nun ja, so ist es wohl. Aber man muss die Dinge in die Tat umsetzen. Jemand muss es tun.
    Mein Gott, Louis! Sagen Sie das nicht Ihrem Vater. Tun Sie das nicht noch einmal Ihren Eltern an. Und George sagte so oft, es sei Utopie. Es gebe noch lange keine Republik, zumindest nicht in Hessen oder sonst wo in Deutschland.
    Ja, es war utopisch. Aber davon lebt der Geist, der uns

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