Büchners Braut: Roman (German Edition)
Abend. Wie spät ist es? Muss die Unruhe schon kommen? Nein, Minna ist noch hier. Ihre Hände duften warm nach Wolle und Heu. Sie schmecken gut. Seine Lippen nehmen diesen Geruch in Besitz. Sie beugt sich nahe zu ihm, die Schweißperlen fühlt sie zuerst, dann seine Stirn, seine Augen, die Wangen, alles fühlen ihre Lippen, das Fieber, die pochende Hitze, seinen Mund, hektischen Atem an ihrem Hals.
Er soll nicht mehr krank sein, und doch soll er noch lange so für sie da sein, hier in der Kammer, Minna und Georg und die Unvernunft.
George, ich muss gehen. – Nein. – Die Nacht kommt. – Schick sie zum Teufel! – Wenn ich es könnte!
Dabei sollte die Nacht doch die Freundin der Liebenden sein. Es ist dunkel, die Welt ist ruhig, die Heimlichkeit hat einen Platz. Und wenn dann das Fieber vergeht, wird er alles vergessen haben? Kommt er zu sich und schaut mich an, erkennt mich nicht wieder?
George? Du sollst nun schlafen.
Ich kann nicht.
Ich bin da, und es ist keine Leere mehr hier.
Ja, und ich habe einen Gedanken, der nun meinen Kopf besetzt. Minna! Minna! Minna!
Es ist gut, George. Mein George.
Hörst du es?
Was?
Die Stimme, die um den ganzen Horizont schreit und die man gewöhnlich die Stille heißt. Diese Stimme war mir oft entsetzlich, aber jetzt ruft sie leicht und erregt. Und wenn du es in der Nacht rufen hörst, so bin ich es. Ich rufe dich.
Sei ganz ruhig, ich bin da. Ihre Stimme senkt sich, er kann einschlafen, und mit einem Gedanken geht sie hinaus: Wenn das Fieber vergeht, wird er mich dann noch rufen?
Am Ende dieser zwei Wochen war das Versprechen gegeben, irgendwann in den letzten Tagen hatten sie sich verlobt.
Ich will dir gehören. – Ein solcher oder ein ähnlicher Satz. Ein Eheversprechen. Nur wenige einzelne Stunden in seiner oder ihrer Kammer, verborgene, verstohlene Hingabe. Hatte Georg den Weg gewagt, hinauf in ihre Kammer, bedroht von dem Spürsinn eines Hausmädchens, den erkennenden Blicken eines Bruders? Es ist ein tollkühnes Spiel, wenn Unvernunft und Leidenschaft aufeinandertreffen.
***
Du hattest lange gezögert, bis du bereit warst, mir das Buch zu zeigen, George.
Du warst ein neugieriges, ungezogenes Mädchen, nicht wahr?
Neugierig, ja. Ist das so schändlich? Wir Mädchen wissen so wenig. Ein Buch mit anatomischen Zeichnungen! Na und? Ich wollte doch nur wissen.
Dies sind keine Dinge für Frauenzimmeraugen.
Und du hast es mir doch gezeigt. Du bist mein Vertrauter.
Vom Herzen wollte sie eine Zeichnung sehen. Er hatte nachgegeben. Alles schon im Heimlichen, im Rausch. Warum nicht auch dies.
Minna im Hemd neben ihm, im Unterrock, darunter nackte Füße. Zusammen sitzen sie auf der Bettkante, auch er nur im langen weißen Hemd, auf den Knien das Buch.
Hier die Zeichnung. Das Herz, ein faustförmiges Gebilde, daran der Arm aus Aorta und Hohlvene.
Siehst du die Kammern, dort die Vorhöfe. Ein gleichmäßiges Zirkulieren hält uns am Leben. Sonst nichts. So, hier strömt das Blut ein, die Muskeln ziehen sich zusammen, und da verlässt das Blut wieder diese Kammer zur Lunge hin, strömt dort hinaus. Von der Lunge zurück in die linke Kammer. Und dort rechts kommt schon das nächste Blut.
Seine Hand formt das Zusammenziehen und Lösen des Herzmuskels nach.
So einfach ist das, George. Wo liegt das Herz? Zeige es mir genau.
Er streift ihr offenes Hemd beiseite.
Hier. Seine Hand legt sich auf die Mitte ihrer Brust, leicht zur linken Seite. Und hier liegt die Aorta, und hier strömt das Blut ins Herz.
Seine Finger kitzeln, und sie bekommt eine Gänsehaut. Sie ängstigt sich. Wenn jemand etwas entdeckt! Dies hier!
Und er schickt große graublaue Blicke in das Bündelvon Sonnenstrahlen, das über die Bettdecke hinweg schräg auf den Boden fällt.
Lieb Kind, du kannst ganz ruhig sein, sagt er.
Und dass er schreiben möchte, sagt er ihr noch. Mag sein, man kann die Welt mit Schreiben besser machen. Dies hatte ihr Vater auch immer geglaubt.
1844
Es läutete. Warum läutete es immer anders, wenn sie alleine im Haus war? Viel aufdringlicher kam ihr die Schelle vor. Sie ging so schnell sie konnte die Wendeltreppe hinab. Noch hatte sie sich nicht recht an diese Treppe gewöhnt. Es läutete wieder. Das Dienstmädchen war heute aus. Jetzt war sie im Parterre angekommen, auf den grau-schwarz gesprenkelten Steinfliesen, und sie öffnete entgegen ihrer vorsichtigen Art die Tür sofort weit und mit Schwung. Da stand ein Mann, sie sah ihn von der Seite, er blickte um sich, den
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