Büchners Braut: Roman (German Edition)
vernichtet, ein einzelnes Gefühl taucht nicht in mir auf. Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen. Ostern ist noch mein einziger Trost; – Du frägst mich: sehnst Du Dich nach mir? Nennst Du’s Sehnen, wenn man nur in einem Punkt leben kann und wenn man davon gerissen ist, und dann nur noch das Gefühl seines Elendes hat? Gib mir doch Antwort. Sind meine Lippen so kalt? … – Dieser Brief ist ein Charivari: Ich tröste dich mit einem anderen.
Minna in ihrer Kammer liest die Briefe, heimlich, abends bei Kerzenlicht. Ihre Augen vertragen das Lesen im Halbdunkel nicht. Sie schmerzen. Der Kopf wird schwer.
– Den ganzen Tag rede ich im Geiste mit Dir und sehe die Feder über das Papier gleiten, doch sitze ich hier, will der Trübsinn keinen Satz zulassen, der Dich trösten könnte. Einen kurzen dumpfen Schlaf bekomme ich, stürze mich morgens in meine tägliche Arbeit. Man soll doch nicht klagen, sagen sie. Was ist schon Klagen? So leidet man eben im Stillen. –
Minna zittert sachte im kalten Zimmer, schaudert, obwohl sie es doch mag, wenn die Befindlichkeit mit der Atmosphäre des Raumes übereinstimmt. Die Tristesse der Winterkälte und ihr verzagtes Gemüt, und noch etwas tiefer kann sie sich hineinknien ins Leid. Ein Fensterladen schwenkt winkend wie ein scherzender Bote in die letzte halbe Stunde vor dem Aufstehen: Komm, der Tag beginnt! Und wirst du wieder so barsch zu dem Mädchen sein und an den Liebsten denken, der so vor sich hin studiert und die Welt im Schweinsgalopp sich zusammenzimmert, und dir bleibt das Häkeldeckchen auf deinem Schoß, eine Reihe rot, zwei Reihen blau, so geht’s voran, und die fleißigen Mädchen nähen und sticken sich ihren Hausstand zusammen. Komm, Minna, aufstehen! – Mademoiselle, sind Sie schon wach? – Ja, ja, ich bin gleich unten.
Gießen, um den 8.2.34
Ich dürste nach einem Briefe. Ich bin allein, wie im Grabe; wann erweckt mich Deine Hand? Meine Freunde verlassen mich, wir schreien uns wie Taube einander in die Ohren; ich wollte, wir wären stumm, dann könnten wir uns doch nur ansehen. Sie sagen, ich sei verrückt, weil ich gesagt habe, in sechs Wochen würde ich auferstehen, zuerst aber Himmelfahrt halten, in der Diligence nämlich. Lebe wohl, liebe Seele, und verlass mich nicht. Der Gram macht mich Dir streitig, ich lieg ihm den ganzen Tag im Schoß; armes Herz, ich glaube, du vergiltst mit Gleichem.
Ja, du bist verrückt, flüstert sie in die Kerzenflamme hinein. Die zuckt leise im Rhythmus ihres Atems. Und,ja, du hast recht, ich vergelte dir mit Gleichem: Gram! Du schreibst nichts von deinem Tun, deiner Studiererei. So lässt du mich im Glauben, du sitzt in Gießen im Kummer ohne Freund? Lasse das nicht zu, weiß ich doch, wie gut dir eine Runde unter Gleichgesinnten beim Biere tut. Ein wenig musst du einer Freundschaft hinterherlaufen, sie ist ein scheues Tier und muss gestreichelt und gut gehalten werden. Denke daran, wie du mit Alexis darüber sprachst.
***
Georg drehte sich im Bett um, sah über den Zimmerboden hin bis zum schmalen Kanapee, darauf August Beckers breiter Rücken ihm zugewandt, von einer grauen Pferdedecke halb zugedeckt. Manchmal fand Georg ihn des Morgens auf dem Boden liegend, die Decke und zwei dünne Kissen unter sich, da die Enge des Kanapees ihn dorthin zwang. Ich kann überall schlafen, sagte August, keine Angst, kein Stallboden ist mir zu schäbig. Georgs Aufforderung, abwechselnd das Bett zu benutzen, stieß auf taube Ohren.
In Gießen mochte man August nicht besonders. Auch unter den Studenten pflegte man kaum mehr Umgang mit dem rotbärtigen, großen Mann, der nach dem Tod seines Vaters das Studium nicht fortsetzen konnte und sich als Hauslehrer durchschlug. Es wunderte kaum noch einen von Georgs Kommilitonen, dass er, dieser verschlossene, bis zur Barschheit abweisende Büchner mit seinem sardonischen Lächeln, fast ständig mit dem Becker zu sehen war, diesen gar bei sich nächtigen ließ.
Beckers abgerissenes russisches Samtbarett, mit dem er sommers wie winters herumlief, hing an einem derbeiden Stühle am Tisch. Georg setzte sich auf den anderen Stuhl und lachte August auffordernd zu, als dieser sich räkelnd erhob.
Komm, ich gehe gleich hinunter, unser Frühstück holen.
August rieb sich über Gesicht und Haare. Wie lange kann ich das noch annehmen, Georg?
Ha, solange die Gutmütigkeit der guten Frau Hofmann aus »etwas mehr« eine kleine zweite Portion werden lässt. Dann entscheidet mein Geldbeutel,
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