Büchners Braut: Roman (German Edition)
vergibst Du? – Eben komme ich von draußen herein. Ein einziger, forthallender Ton aus tausend Lerchenkehlen schlägt durch die brütende Sommerluft, ein schweres Gewölk wandelt über die Erde, der tief brausende Wind klingt wie sein melodischer Schritt. Die Frühlingsluft löste mich aus meinem Starrkrampf. Ich erschrak vor mir selbst. Das Gefühl des Gestorbenseins war immer über mir. Die Ferien fangen morgen in vierzehn Tagen an; verweigert man die Erlaubnis, so gehe ich heimlich, ich bin mir selbst schuldig, einem unerträglichen Zustande ein Ende zu machen. Meine geistigen Kräfte sind gänzlich zerrüttet. Arbeiten ist mir unmöglich; ein dumpfes Brüten hat sich meiner bemeistert, indem mir kaum ein Gedanke noch hell wird. Alles verzehrt sich in mir selbst. Ich habe Dir’s schon tausendmal gesagt: Lies meine Briefe nicht – kalte, träge Worte! Könnte ich nur über Dich einen vollen Ton ausgießen – so schleppe ich Dich in meine wüsten Irrgänge. Du sitzest jetzt im dunkeln Zimmer in Deinen Tränen, allein bald trete ich zu Dir. Seit vierzehn Tagen steht Dein Bild beständig vor mir,ich sehe Dich in jedem Traum. Dein Schatten schwebt immer vor mir, wie das Lichtzittern, wenn man in die Sonne gesehen. Ich lechze nach einer seligen Empfindung, die wird mir bald, bald, bei Dir.
Die warme Luft ist Minna am Tage bis zur Unerträglichkeit lästig, die schlagende Helligkeit der niedrigen Märzsonne verbrennt ihr die Wangen. Nach einem Blick in die Sonne sieht sie hinter den Lidern einen riesigen grün-orangen Feuerball, aber keinen Schatten Georgs. Abends streift endlich der kalte Lufthauch durch das Fenster, der sagt: Noch ist es Winter. Es wird finster.
– Du schreibst von einem unerträglichen Zustand. So ist es. Unerträglich. Und du bist es mir schuldig, dich nicht von Arbeit aufzehren zu lassen. Ja, es ist dunkel in meinem Zimmer. Die Kerze leuchtet einen matten Schein über das Papier. Könnte ich sie nur in mich stellen, damit es mir heller wird. Angst und Schmerz legen sich über meine liebsten Hoffnungen. –
Georg besuchte seine Vorlesungen, er las in den Nächten und schleppte sich durch die Tage. Das Wort »Revolution« war ständig um ihn. Bücher sollten ihm die französische Revolution entschlüsseln. Die eigene brannte in ihm. Irgendwann in diesen Wochen schreibt er die Worte: »Friede den Hütten, Krieg den Palästen«. Ende März hat er die erste Fassung des »Hessischen Landboten« fertig.
Liebster George, Du fragst nach Straßburg und hast schöne Erinnerung an diese Stadt. Ich weiß, es tut mir leid, alles ist mir so gleich, über Politik vermag ich nichtzu schreiben. Ohne Dich ist dies ein trockenes Brot, und ich will darüber nicht nachdenken. Was tust Du denn? Was denkst Du denn? Lauter Sachen, die Deine Nerven angreifen. – Du bist fühllos, kein Schmerz, kein Sehnen? Ich habe genügend davon. Ostern! Die Hoffnung auf ein Wiedersehen? Nein, meine Lippen sind nicht kalt. Ich schreie Dir Antworten jede Nacht ins Dunkel hinein. Du hörst mich nicht. – George, wie lange müssen wir noch diesen Zustand ertragen? Er ruiniert meine Gesundheit, Vater musste den Arzt kommen lassen. Wieder ein Fieber, jedoch nichts Ernstes. So viel Kümmernis in mir ist, so sehr drängt sie nach außen, und alle Leute sehen es mir an. Glaubst Du dies? – Nur ein Heilmittel wüsste ich. Wie lange noch, George? Wie soll ich meinem Vater noch ins Gesicht sehen? –
Den Brief, endlich gefaltet und versiegelt, schiebt Minna unter die Schürze, sie stolpert die Treppe hinunter, da war doch die Türschelle zu hören, gerade so, wie Eugène immer schellt, zweimal kurz, doch es ist der dumme Schusterbub. – Wenn ich mein Schatz nicht rufen darf, muss ich ihm winken, nein, ich muss es ihm schreiben, wenn ich weder rufen darf noch winken. Er wird böse sein, wenn ich es fordere! – Diese vermaledeite Wärme! Der Kopfschmerz sprengt mir den Schädel. – George! Es muss sein, noch dieses Jahr. Ein Heilmittel weiß ich! Vierundzwanzig werde ich heuer, Herrgott, und wann kommt Eugène! – Endlich trifft er ein, noch vor dem Kirchgang. Das Kuvert will nicht aus dem Bund zwischen Schürze und Rock. – Ich habe zu erbittert geschrieben. Er wird böse sein. – Hier, Eugène. – Das Kuvert ist hervor, und leicht bebt Minnas Hand, die es kurz zurückhält,und Eugène schaut konsterniert. Doch, nehmen Sie, Eugène, und tausend Dank.
Jetzt zum Kirchgang die geflickten Sommerstiefel an die Füße und eiligen
Weitere Kostenlose Bücher